Was Neues riskieren

Was für eine Erkenntnis mit über 50 Jahren: Dass wir die Dinge in der Regel immer so tun, wie wir sie (40 Jahre zuvor) gelernt haben. Dass wir sie auch anders tun können – und dabei neue Aspekte der Wirklichkeit erkennen.

How to tie your shoes | Terry Moore

Mich hat das Video dazu ermutigt, jeden Tag irgendetwas anders zu machen als sonst. Ich habe inzwischen auf der anderen Seite des Bettes geschlafen… Meine Zähne immer wieder mal mit Links geputzt… Auf der gegenüberliegenden Seite meines Schreibtisches gearbeitet… Die gefragt, die sich Rat bei mir holen… Mich mutig angezweifelt, wo ich sicher war… Mich mutig hingestellt, wo ich unsicher war…

Neue Erfahrungen beginnen ganz offensichtlich mit neuen Bewegungen.

Warum Selbstführung für Berater so wichtig ist

Ich weiß noch genau, wie Silvia Richter-Kaupp mich Anfang des Jahres anrief und mir erzählte, mit wie viel Begeisterung sie Das flüssige Ich gelesen hat. Sie wollte mich zu einem Vortrag auf ihren Coaching-Kongress Führung 2.0 einladen. Dazu hatte ich sofort große Lust. Die Weiterbildung von Coaches, Beratern und Trainern liegt mir einfach sehr am Herzen.

Am 22.6.2013 war es dann soweit. Morgens um 9.30 Uhr hielt ich den Einführungsvortrag ‚Das flüssige Ich. Warum Selbstentführung für Führungskräfte, Berater und Coaches so wichtig ist‘. Es war ein besonderes Erlebnis für mich, vor Profis zu sprechen, die Menschen tagtäglich darin unterstützen, Veränderungsprozesse bewusst zu gestalten, und dabei wissen, dass der Schlüssel zur Wirksamkeit in ihrer Selbst-Entwicklung liegt.

Ich hatte meine Aufnahmegerät dabei. Aber wie das manchmal so ist – irgendwie habe ich in der Aufregung nicht den richtigen Knopf gedrückt und dann zu hause festgestellt, dass ich nichts aufgenommen hatte.

Silvia Richter-Kaupp hatte jemanden beauftragt, den Kongress zu dokumentieren. Ich habe immer wieder gesehen, wie sie Fotos gemacht hat. Dass sie auch Video-Mitschnitte gemacht hat habe ich gar nicht bemerkt. Aber so gibt es nun ein paar Video-Sequenenzen aus meinem Vortrag. Die Qualität ist zwar nicht sehr gut, aber man bekommt zumindest einen Einblick.

Viel Freude beim Sehen und Hören:

Coaching: Aus der Box in den Raum der Möglichkeiten - Christiane Windhausen

Die Logik der Gefühle im Coaching - Christiane Windhausen

Mit der Kompetenzmatrix ins flüssige Ich - Christiane Windhausen

Warum Selbstentwicklung für Coachs und Berater so wichtig ist - Christiane Windhausen

Selbstführung als Weg der Integration

Als 2012 unser Buch erschien und wir unsere Pressemitteilungen rausgeschickt hatten, bekamen wir von der Zeitschrift Managerseminare die Anwort: Selbstführung – das interessiert uns nicht. Jetzt ist von ihnen die Ausgabe ‚Selbstführung – Der innere Lotse‘ erschienen. Innerhalb von nur einem Jahr hat sich also das Blatt gewendet…

Als wir vor 12 Jahren begannen, uns mit emotionaler Selbstführung zu beschäftigten, war das für die meisten ein ‚Fremdwort‘, mit dem niemand so recht etwas anfangen konnte. Heute gehört Selbstführung zum Standard-Repertoire eines jeden Führungskräftetrainings. Bei den zunehmenden Anforderungen eines Führungsalltags wird es immer wichtiger, sich im Umgang mit den eigenen Grenzen und Möglichkeiten, Bedürfnissen und Potentialen gut führen zu können – und dabei klar zu wissen, wohin ich mich führen möchte.

Manchmal jedoch laufen mir Schauer über den Rücken, wenn ich höre, wie Selbstführung als Führungskompetenz eingefordert wird. In der Regel wird Selbstführung hier im Sinne von Selbstkontrolle verstanden. Dann zeigt sich Kompetenz vor allem darin, wie gut jemand unerwünschte Gefühle kontrollieren und erwünschte Gefühle gezielt auslösen kann. Doch die gezielte Abwertung bestimmter Gefühle, spaltet uns in positive und negative Aspekte. In das, was veröffentlicht wird, und in das, was verheimlicht werden muss. Damit wächst die Fragmentierung unseres Selbst und der Schmerz der Spaltung. Und das verstärkt erwiesenermaßen den Stresspegel im Körper.

Für Birgit-Rita Reifferscheidt und mich war Selbstführung immer ein Weg der Integration. Uns geht es darum, Bewertungen zu verflüssigen und neue Möglichkeiten im Denken, Fühlen und Handeln ins Leben zu bringen. Mit den Jahren sind wir zu Spezialistinnen für die Selbstführung in Transformationsprozessen geworden. In unserem Buch Das flüssige Ich haben wir unser Knowhow auf kompakte Weise zusammengefasst.

Unsere Passion ist es, diejenigen zu unterstützen, die Veränderungsprozesse gestalten. Und zwar, indem sie einen lebendigen Zugang zu ihren eigenen Gefühlen entwickeln und dabei die Angst vor der Unvollkommenheit verlieren. Selbstführung heißt für für uns, die eigene Potentialentfaltung in die Hand zu nehmen – so, dass sich Transformation ereignen kann. Jeder, der sein Fühlen und Denken neu versteht, gewinnt zusätzliche Handlungsmöglichkeiten. Dabei geht es uns nicht um mehr Kontrolle, sondern um eine größere Stimmigkeit.

Dazu ist der verständige Umgang mit Gefühlen wichtig – denn die Abwehr vor Gefühlen begrenzt unsere Möglichkeiten. Selbstführung braucht auch den bewussten Umgang mit den Gedanken – denn unsere Denkmuster, Glaubenssätzen und Bewertungen halten unser Bewusstsein in alten Vorstellungen gefangen. Selbstführung beginnt im eigenen Körper – denn eine neue Beweglichkeit braucht auch neue Bewegungen. Führungsverantwortliche, die sich auf diesen Weg der persönlichen Integration begeben, erleben häufig einen Quantensprung in ihrer Wirksamkeit. Durch den flüssigen Umgang mit ihren Gefühlen ermöglichen sie Mitarbeitern und Kollegen einen kreativen Umgang mit den eigenen Grenzen.

Alle Gefühle sind wertvoll. Sie zeigen unsere persönlichen Werte, Bedürfnisse, Grenzen. Sie ermöglichen Gemeinschaft (im Team, in der Familie, in Freundschaften), aber auch Abgrenzung und Individualität. Wenn sie rundlaufen, gewährleisten sie Verbundenheit und Eigenständigkeit. Das lässt sich nur in einem bewertungsfreien Raum erlernen, in dem Schwächen als Poteniale und Unvollkommenheit als Stärke erkannt werden. Dazu braucht es Möglichkeitsräume, in denen wir erleben können, dass wir in unserem Menschsein wichtiger sind als in unserer Funktion. Dabei ist die Entfaltung unserer Potentiale ebenso wichtig, wie der effektive Umgang mit unseren Ressourcen. Mehr und mehr kann so ein Bewusstsein enstehen, in dem Kreativität und Selbstverantwortung, Individualität und Gemeinschaft Hand in Hand gehen.

Ganzwerden – statt Besserwerden

Es gibt Augenblicke in meinem Leben, da bahnt sich unvermittelt eine tiefe Einsicht ins Bewusstsein – und etwas in mir wird für immer geändert. Einer dieser Momente war vor etwa 25 Jahren. Ich war im Rahmen eines Vision-Quests vier Tage lang allein in der Wüste von Death Valley. An einem Morgen weckte mich die Sonne und ich wußte: Bevor ich sterbe werde ich bis in jede Zelle meines Körpers lebendig sein. Und: Je älter ich werde, umso lebendiger werde ich.

Wenn ich heute daran denke, dann staune ich: Damals war ich Anfang dreizig. Und ich wußte, dass es im Leben um lebendig WERDEN geht. Diese innere Gewissheit hat mich nie wieder verlassen. Sie hat mich auf eine Reise geschickt.

Am Anfang dachte ich: Ganz und gar lebendig zu werden bedeutet, mehr von dem zu tun, was ich gut kann. Und alles mit Leidenschaft zu tun. Stimmt – so wurde das Leben intensiver… Aber es wurde auch anstrengender – und weniger lebendig. In unsere Trainings kommen immer mehr Menschen, die sich beim Immer-besser-werden und Ständig-Leistung-bringen tief erschöpft und verloren haben. Immer öfter habe ich festgestellt: Es gibt eine Form der Erschöpfung, die aus nicht gelebtem Leben entsteht. Wir verbrauchen so viel Energie um schambesetzte Gefühle abzuwehren, gefährliche Gedanken in Schach zu halten und die Bedürfnisses unseres Körpers zu ignorieren.

Lebendig werden, das heißt für mich inzwischen GANZWERDEN. Dafür ist es wichtig, sich um das zu kümmern, was uns trennt. Und mich dabei immer wieder verletzbar zu machen. Meine Rüstung schenkt mir zwar Sicherheit, dafür kostet sie mich aber Lebendigkeit.

Im Dezember 2010 sprach Brené Brown bei TED über The Power of Vulnarability – Die Macht der Verletzlichkeit. Diesen Vortrag haben sich 8,5 Millionen (!) Menschen angesehen. Das ist unglaublich und zeigt mir, wie groß unsere Sehnsucht danach ist, nicht mehr besser werden zu müssen, sondern einfach ganz. Über ihren TED-Vortrag Listening to Shame – Auf die Scham hören (2 Jahre später) hat Birgit-Rita Reifferscheidt in unserem Blog geschrieben.

Dr. Brené Brown forscht an der Universität Houston zu einem Konzept, dass sie Wholeheartedness nennt – Leben aus vollem Herzen. Besondere Beachtung schenkt sie dabei der Frage, wie Scham unsere Lebendigkeit verhindert und unsere seelische Widerstandskraft (Resilienz) schwächt.

Ich liebe dieses Wort, dass sich nur so holprig ins Deutsche übersetzen lässt. Es beschreibt sehr gut, was wir als flüssiges Ich bezeichnen. Um Lebendigkeit und Vertrauen in Beziehung zu erleben, braucht es – so Brené Brown – immer wieder die Entscheidung, GANZ auf der Bildfläche zu erscheinen und Die Gaben der Unvollkommenheit mitzubringen.

Für mich ist es vor allem unsere Verletzlichkeit, die uns verbindet. Sie macht das Leben vollkommen und ganz.

Gemeinsam wird’s Englisch

Die Kompetenzmatrix aus unserem Buch ist ein wichtiges Tool in unserer Arbeit. Um die verschiedenen Arten von emotionaler Verschiebungen aufzulösen, bietet sie eine klare und handhabbare Struktur.

Aus den vier Kräften (Nehmen, Geben, Wählen und Verbinden) – ausgedrückt auf drei Ebenen (mental, emotional und körperlich) – ergeben sich 12 Kompetenzfelder. Im Laufe unserer Lebensgeschichte werden daraus Kompetenzen besonders ausgeprägt und andere vernachlässigt. So kann es zum Beispiel sein, dass jemand sich mental durch alle vier Felder bewegen kann, bei ihm aber die emotionalen Kompetenzfelder blockiert sind. Oder jemand hat eine ausgeprägte Ausdruckskraft, tut sich aber schwer, sich darin mit anderen zu verbinden, weil der übertriebene Ausdruck die Nimmkraft blockiert.

Auf jeden Fall lässt sich im Spiegel der Matrix deutlich erkennen, welche Stärken – aber eben auch Schwächen – wir entwickelt haben. Wer nicht mehr nur einfach besser, sondern ganz werden will, braucht dazu einen gelassenen Umgang mit seinen Talenten und seinen persönlichen Lernfeldern. Für die Entwicklung eines flüssigen Ichs ist die Kompetenzmatrix ein wunderbarer Kompass. Ich nutze sie als Landkarte für die eigene Beziehungsfähigkeit, aber auch für die nächsten Entwicklungsschritte und deren praktischen Umsetzung.

Inzwischen werden wir immer häufiger gefragt, ob wir die Matrix nicht auch in Englisch zur Verfügung stellen können. Personalentwickler, die mit der Matrix gearbeitet haben, wollen sie in ihren Unternehmen vorstellen, Coaches und Berater wollen sie gerne bei ihren internationlen Kunden verwenden.

Jetzt habe ich einfach mal mit der Übersetzung angefangen und mich dazu mit englisch-arbeitende Kollegen verbunden. Stefan Strobel war gerade in Südafrika und hat dort unsere Rohfassung mit nativ speakern abgestimmt, ergänzt und korrigiert. Dann bekam ich eine Mahttps://www.xing.com/profile/Stefan_Strobel6?key=0.0il mit diesem Anhang:

Was für ein Spass! So wächst ein kleines Projekt – über Kontinente hinweg – zwischen uns. Gelebte Übersetzung ensteht und ein gegenseitiges Staunen. Früher hätte ich all das alleine gemacht. Oder an einen (!) Profi abgegeben. Jetzt wächst unsere englische Matrix aus gegenseitigen Inspirationen. Damit entsteht nicht nur eine gute englische Fassung, sondern auch ein kollegiales Zusammenspiel, die uns gegenseitig verbindet und bereichert.

Ich bin begeistert, und gespannt auf den nächsten Input – von irgendwo unterwegs. Die neuen Medien machen all das möglich.