Glück beginnt, wenn wir teilen dürfen

Ich sitze mit 100 anderen Menschen in einem Vortrag von Bodo Janssen. Wir sind im Theater der Träume, WerteWandel hat eingeladen. Ich bin gekommen, weil ich schon viel über den Hotelmanager von Upstalsboom gelesen (1) und gehört habe. Jetzt gab es die Chance, ihn persönlich kennenzulernen – ich bin dabei.

An meinem Tisch sitzt eine junge Frau, die sich beruflich neu orientiert. Ein Referent aus einer Stiftung, der nach den neuen Potenzialen sucht. Eine erfahrene Unternehmensberaterin, die den Austausch mit Kollegen sucht. Eine Marketingberaterin, die den Mut hatte ihren Werten zu folgen und bewusst aus einem Unternehmen ausgeschieden ist. Uns alle hat Bodo Janssen berührt, auf unterschiedliche Weise – doch bis unter die Haut. Immer wieder steht ein Mund offen, laufen leise Tränen über Wangen, wird es plötzlich still im Raum.

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Bodo Janssen beginnt den Abend mit seinen eigenen Schattenseiten. Er spricht über seine Selbstsucht, seine Überheblichkeit, seine Unmenschlichkeit. Und er tut es ohne sich selbst abzuwerten… Es ist einfach selbstverständlich, das jeder Paulus mal ein Saulus war. Dass gerade die Fehler, für die wir uns am meisten schämen, die größten Veränderungen ermöglichen – und unsere Wertschöpfung verdienen. Dass Mut nur dort entsteht, wo wir Seite an Seite mit unserer Angst gehen.

Er versteht es Geschichten zu erzählen. Mit ihnen schmelzen die Reste längst überholter Bilder in mir – über Führung, Unternehmen, Erfolg, Glück einfach dahin… Es gibt kein Müssen oder Sollen… Er spricht über reale Erfahrungen, über eigene Gefühle und Entscheidungen, über konkrete Bewegungen bei seinen Mitarbeitern und im Unternehmen.

Hier einige Essenzen:

  • Wenn jemand als Führungskraft etwas verändern möchte, ist er gut damit beraten, zunächst und ausschließlich bei sich selbst anzufangen.
  • Führung ist Dienstleistung – kein Priveleg. Sie dient der Selbstentwicklung der Menschen.
  • Sein Tipp an die Generation Y: Finde einen, der an dich glaubt – und dann tu was du immer schon wolltest.
  • Die Alten bringen die Erfahrungen mit, aber die Jungen führen in die Zukunft. Die Alten müssen die Jungen unterstützen, damit sie uns in die Zukunft führen können.
  • Glück entsteht im Geben. Menschen wollen nicht nur arbeiten, sondern Teil eines Entwicklungsprozesses sein.

Ein Beispiel: Er wollte die Bewertungen für die Hotelkette Upstalsboom verbessern und einen Award gewinnen. Den Wunsch hat er allen Mitarbeiter mitgeteilt, verbunden mit dem Versprechen: Wenn ihr das schafft, dann fahren wir nach Ruanda und bauen dort gemeinsam eine Schule. Es gab keine Vorgaben, keine Wegbeschreibungen. Die Message war klar: Ich weiß nicht, wie das geht. Findet den Weg – dann bauen wir eine Schule…

Was für ein Paradigenwechsel! Die Wertschätzung für das eigene Engagement wird nicht durch Geld ausgedrückt. Stattdessen erhielten die jungen Mitarbeiter die Chance, für andere Menschen Zukunftschancen zu gestalten. Der Lohn für ihr eigenes Engagement bestand darin, dass sie andere Menschen glücklich machen konnten. Das hat ungeahnte Kreativität bei den Mitarbeitern freigesetzt – und sie haben gemeinsam in Ruanda ein Schule gebaut.

Da Janssen festgestellt hat, dass mit dem Geben (2) Selbstwert und Selbstvertrauen wachsen, gibt es darüberhinaus bei Upstalsboom das Projekt ‚Der Norden tut Gutes‘. Die Mitarbeiter bekommen dafür zwei Tage im Jahr frei, um eine Wohltätigkeitsorganistion zu unterstützen.

Bodo Jansen - Unternehmer sollte sich jeder Chef mal ansehen

Seit Bodo Janssen in seinem Unternehmen weniger auf Geld als auf das Glück der Mitarbeiter schaut, wird deutlich wie gerne Erfolg und Geld unserem Glück folgt:

Für uns gehen Rechnungen auf, die wir nicht gemacht haben: Die Verdoppelung der Umsätze, eine überproportionale Entwicklung der Produktivität, die Bekanntheit um einen Faktor 30 gesteiegert. Wenn wir uns das 2010 vorgenommen hätten, hätten doch alle gefragt, ob wir noch alle Tassen im Schrank haben. (3)

Die Zukunft hat längst angefangen. Bodo Janssen ist nur einer von vielen (4), der die eigenen Selbst-Entwicklung mit unternehmerischem Handeln verbinden, und zwar so, dass in der Führung eine Form von Mitmenschlichkeit entsteht, die sich vorher niemand vorstellen konnte.

Danke für einen unvergesslicher Abend. Mich hat er einmal mehr dazu motiviert, mich nicht von Konventionen begrenzen zu lassen, sondern auf meine existenziellen Erfahrungen zu vertrauen.

(1) Bodo Janssen, Die Stille Revolution. Führen mit Sinn und Menschlichkeit. München 2016
(2) Carolin Emke, Geben. In: Süddeutsche Zeitung, 23.12.2015
(3) Handelsblatt, Der Chef, den keiner mehr wollte. 21.6.016
(4) Frederic Laloux, Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München 2015

Selbstwert wächst durch Resonanz

Wir Menschen sind Beziehungswesen – unsere Neuronen verknüpfen sich im Gehirn erst nach und nach zu unserer Identität. Und zwar durch die Art und Weise, wie die Menschen, die wir lieben, unsere Energie berühren und beeindrucken, auf sie antworten und sie bewegen. Unser Selbstgefühl können wir uns nicht selber geben, es wurzelt in dem, was wir für die anderen sind.

Ich habe in meinem Leben immer wieder erlebt, dass aus liebevollen Beziehungen (geteilte Gefühle) Selbstwert und Vertauen wächst, und aus lieblosen Beziehungen (abgewehrte Gefühle) Selbstzweifel und Unsicherheit entsteht. Beides hinterlässt Spuren in meiner Identität.

Selbstvertrauen braucht Freude

Auf der Körperebene entsteht Selbstvertrauen durch geteilte Freude. Dr. Werner van Haren spricht in diesem Zusammenhang von erlebten Freudezirkel zwischen Mutter und Kind, die während der Schwangerschaft beginnen, und sich im besten Fall in vielfältigen freudvollen Begegnungen in der Familie und im Leben fortsetzen. So wandelt sich der Glanz in den Augen der anderen schließlich in unseren eigenen Wert.

Für Hartmut Rosa ist die Erfahrung von Resonanz die Basis unseres In-der-Welt-Seins (1). Für ihn bedeutet Resonanz nicht Bestätigung, sie ist kein einfaches Echo – eher eine Antwort. Wir brauchen die Erfahrung, dass Menschen uns antwortet und mit uns in Beziehung treten. Diese Antworten können sowohl positiv als auch negativ sein. Auch Reibung ist eine sehr kostbare Form der zwischenmenschlichen Verbundenheit.

Tiefe Resonanzerfahrungen beinhalten immer einen Moment der Transformation: Sie gehen uns unter die Haut, sie verwandeln uns. Wir kommen anders aus ihnen hervor, als wir reingegangen sind. Wenn wir uns nach einem schwierigen Gespräch mit einem Mitarbeiter erleichtert fühlen, dann weil wir uns – mitten in unterschiedlicher Sichtweisen – begegnet sind. Wir haben einander gehört, gefühlt, berührt – uns angesprochen.

Die Löcher im Wert

Das Fundament für unser Selbstbewusstsein bildet sich durch die frühen Resonanzerfahrungen in unserer Kindheit (2), doch wir sind weitaus mehr als das, was auf diese Weise in unser Selbstbild eingeschrieben wurde. Teile unserer Wesensenergie bleiben – auch in den liebevollsten Familien – unangetastet.

Ali Hameed Almaas spricht hier von den Löcher in unserem Wert (3). Das ist ein gutes Bild für das, was wir erleben: Plötzlich fallen wir in ein Loch. Alles, was andere über uns sagen, stößt hier auf Taubheit, und wird mit Abwertung und Rationalisierungen zurückgewiesen. Gar nicht in böser Absicht – hier fehlen uns oft einfach die Rezeptoren zum Nehmen (4).

Unsere Gesellschaft macht es uns leicht, diese Löcher – zumindest für eine Weile – mit Ersatz zu füllen. Dann wird Freude durch Konsum ersetzt, und Wert durch Leistung. Wir können diese Löcher auch mit der Energie anderen Menschen stopfen. Dann vereinnahmen wir ihre Ideen, Gedanken, Gefühle und machen sie uns zu eigen. Doch glücklich werden wir damit nicht. Zugehörigkeit gibt es nicht, solange wir andere benutzen, statt uns von ihnen berühren zu lassen.

Eine Tür ins Lebendige

Im Schatten unseres Selbstbewusstseins liegen unberührte Landschaften. Wir erleben sie als subtiles Gefühl von Fremdsein – mitten unter Menschen. Oder als gefühlte Taubheit mit uns selber – so als wäre wir nicht ganz da. Wir erleben sie als Nichts, als Niemandsland, als Selbstzweifel, als Scham – und erleiden im Kontakt mit anderen unsere eigene Abwesenheit.

Für mich sind diese Löcher im Selbstwert inzwischen sehr wertvoll. Sie sind Türen ins Lebendige, die sich öffnen, wenn sie Wohlwollen und Resonanz erleben. Hinter ihnen schlummern unberührte Aspekte meiner eigenen Energie. Jedesmal wenn ich den Stolz und die Gleichgültigkeit aufgeben, und mich dort von jemandem berühren lasse, öffnet sich die Tür – und das gefühlte Nichts erwacht zum Leben (5). Das zwingt mich manchmal in die Knie – und von dort sieht vieles anders aus. Alte Selbstbilder purzeln vom Thron, dafür zieht Menschlichkeit ein.

Eins steht auf jeden Fall fest: Der Wunsch ganz zu werden beginnt mit der Bereitschaft lebendig zu sein, und meine eigene Verletzlichkeit zu teilen (6).

Wenn ich mich berührbar mache, wandeln sich Leere in Offenheit. Mitten zwischen lauten Gedanken breitet sich Stille aus, und ich spüre den Herzschlag des Lebens. Pur, einfach, unverstellt.
So wächst ein Selbstwert, der mich trägt. Und Werte, die mich führen…

Literatur
(1) Hartmut Rosa (2016), Resonanz. Einen Soziologie der Weltbeziehung
(2) Katharina Ohana (2010), Gestatten Ich. Die Entdeckung des Selbstbewusstseins
(3) Ali Hameed Almaas (1998), Essenzielle Verwirklichkeit
(4) Christiane Windhausen, Birgit-Rita Reifferscheidt (2012), Das flüssige Ich. Führung beginnt mit Selbstführung
(5) Brene Brown (2012), Die Gaben der Unvollkommenheit: Leben aus vollem Herzen
(6) Brene Brown (2013), Verletzlichkeit macht stark. Wie wir unsere Schutzmechanismen aufgeben und innerlich reich werden

Selbstwert können wir uns nicht selber geben

Beim Selbstwert scheint es sich um eine wackelige Angelegenheit zu handeln. Jedes Mal, wenn das Leben uns Veränderung zumutet, beginnt er zu wanken. Wieso haben wir eigentlich das Gefühl, weniger wert zu sein, nur weil wir unsicher sind?

Ich habe immer wieder erlebt, wie Veränderungsprozesse mein eigenes Selbstwertgefühl ins Wanken gebracht haben. Sobald es darum ging, etwas Neues zu üben, kam die Scham fürs Nicht-Können. Es fiel mir schwer, um Hilfe zu bitten – oder freundlich mit meinen eigenen Fehlern zu sein. Auf einmal rutschte mein Wert in den Keller – und riss alles mit, was vorher sicher und stabil war. Unser Selbstwert ist ganz offensichtlich eine unsichere Angelegenheit – zumindest solange wir ihn ausschließlich mit unseren Stärken und Leistungen verknüpfen.

Selbermachen ist nicht dir Lösung

Doch was machen wir, wenn der eigene Selbstwert zu wackeln beginnt? Ich habe mich mal im Netz auf die Suche gemacht, und war ziemlich schockiert. Dort findet man Tipps und Ratschlägen wie diese:

Ein gesundes Selbstwertgefühl kann nur von innen kommen. Für unser Selbstwertgefühl sind wir selber zuständig. Wir entscheiden über unseren Selbstwert, indem wir uns für wertvoll oder minderwertig halten. Wir müssen lernen, uns selbst gut zuzureden, uns selbst den Rücken zu stärken und uns selbst zu ermutigen.

Wenn sie ihr geringes Selbstwertgefühl und damit ihr Selbstvertrauen stärken wollen, müssen sie sich selbst einer Art Gehirnwäsche unterziehen. Sie müssen sich gedanklich umdrehen, ihren Selbstzweifel überwinden und sich ein positives Selbstbild aneignen – ungeachtet ihrer Unvollkommenheiten, Schwäche und Fehler.

Die Imperative heißen also: Steigern Sie ihr Selbstwertgefühl! So als wäre die Verbindung zu unserem Selbst eine mathematische Rechnung, die sich über Willen verbessern lässt. Mit anderen Worten: Machen Sie es selber! So als könnten wir unseren Wert selbst bestimmen und allein aus uns schöpfen.

Ich habe bisher niemanden getroffen, der auf diese Weise gelassener, mutiger, souveräner geworden ist. Meine eigenen Versuche in dieser Richtung sind alle kläglich gescheitert. Kein guter Gedanke konnte die tief im Körper verankerte Unsicherheit auflösen. Aus dem Kampf gegen die eigenen Schwächen ist für mich jedes Mal nur noch mehr Anstrengung gewachsen.

Unser Wert wächst im Wir

Wir können uns unseren Wert nicht selber geben – oder einreden. Er entsteht und wächst aus unseren Beziehungen. Das war schon von Anfang an so. Wir wachsen im Beziehungsraum unserer Familie heran. Sie verleiht uns unseren ersten Wert. Selbstwert entsteht also immer in Verbindung mit Anderen. Daher können sich all die Löcher, die auf diesem Weg entstanden sind, auch nur in Beziehung, Begegnung, Austausch mit anderen auflösen.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich – und zwar vor allem durch das beständige Wohlwollen eines anderen Menschen – begriffen habe, dass mein Selbstwertgefühl vor allem eins braucht: Die Offenheit, meine eigene Verletzlichkeit anzunehmen und mich in den wertvollen Beziehungen meines Lebens damit einzubringen. Ein Wert, der nur auf Stärken steht, bleibt einseitig und steht auf wackeligen Beinen. Erst wenn wir unsere Verletzlichkeit in unsere Beziehungen einbringen, kann sich ein Wert entwickeln, der unabhängig von Leistung und Perfektion ist. Es kann doch nicht sein, dass wir uns weniger wert fühlen, nur weil wir uns unsicher fühlen?

Ein echtes Leitbild für den Umgang mit Verletzlichkeit und Scham ist für mich Brene Brown. Ihre Bücher Die Gaben der Unvollkommenheit und Verletzlichkeit macht stark sind für mich echte Mutmacher.

Wer nicht nimmt wird kraftlos.

Das heißt, es braucht zwei Seiten. Einerseits brauchen wir Menschen, für die es eine Stärke ist, sich in den eigenen Schwächen zu zeigen, die Verletzlichkeit wertschätzen und nicht negativ bewerten. Andererseits entscheiden wir, wie tief uns andere berühren dürfen. Wir wählen, ob wir den stärkenden Spiegelungen der Anderen glauben – oder unseren selbst-abwertenden Glaubenssätzen, die aus längst vergangenen Zeiten stammen. Alles Wesentliche wird uns gegeben. Aber wie tief wir es nehmen, ist unsere eigene Wahl und Selbst-Bestimmung.