Anleitung für dieses Jahrtausend (Dalai Lama)

Bedenke, dass große Liebe und große Leistungen immer mit großem Risiko verbunden sind:

  1. Wenn du verlierst, dann verpasse nicht auch noch die Lektion.
  2. Manchmal kann das, was du nicht bekommst, eine wunderbare Fügung des Schicksals sein.
  3. Lass nicht zu, dass ein kleiner Streit einer großen Freundschaft Wunden zufügt.
  4. Wenn du erkennst, dass du einen Fehler gemacht hast, beginne umgehend, ihn zu korrigieren.
  5. Verbringe jeden Tag etwas Zeit mit dir selbst.
  6. Begegne Veränderungen mit offenen Armen, aber verliere dabei nicht deine Wertmaßstäbe.
  7. Denke daran, dass Schweigen manchmal die beste Antwort ist.
  8. Lebe ein gutes, ehrbares Leben. Wenn du dann älter wirst und zurückblickst, wirst du es ein zweites Mal genießen können.
  9. Eine liebevolle Atmosphäre in deinem Haus ist die beste Grundlage für dein Leben.
  10. Bei Meinungsverschiedenheiten mit deinen Lieben befasse dich nur mit der gegenwärtigen aktuelle Situation. Lass die Vergangenheit ruhen.
  11. Teile dein Wissen. Das ist ein Weg, Unsterblichkeit zu erlangen.
  12. Sei sanft und freundlich mit der Erde.
  13. Gehe einmal im Jahr an einen Ort, an dem du noch nie warst.
  14. Denke daran, die beste Beziehung ist jene, in der die Liebe für den Anderen größer ist, als das Verlangen nach dem Anderen.
  15. Bewerte deine Erfolge daran, was du aufgeben musstest, um sie zu erzielen.
  16. Widme dich der Liebe und dem Kochen mit rücksichtsloser Hingabe und völliger Unbekümmertheit.

Lerne diese Regeln, damit du weißt, wie du sie brichst.

Tibet 10: Ich komme aus dem Flussland

Am nächsten Morgen werde ich mit der Erkenntnis wach: Ich gehöre hier oben nicht hin. Ich komme aus dem Flussland…

Darin liegt keine Unzufriedenheit, kein Hader, keine Klage. Es ist ganz einfach eine Einsicht in den Sinn meines eigenen Lebens.

So langsam wächst in mir der Stolz auf das Erbe meiner Vorfahren. Unsere deutsche Geschichte hat uns dazu gezwungen, uns mit der Schuld der Täterschaft auseinanderzusetzen…

Wir haben ein nahezu perfektes Programm zur Auslöschung des Fremden entwickelt… Der Genozid scheint zu einer Phase der Menschheitsentwick-
lung dazu zu gehören. Wir finden ihn überall: in den USA (Indianer), in Australien (Aboriginis), in Europa (Juden), in Asien (z.B. Tibeter)… Mitmenschlichkeit wächst aus unserem Schatten. Erst die eigenen dunklen Seiten lehren uns das Mitgefühl mit den Anderen.

Es gibt nicht viele Völker auf dieser Erde, die ihre eigene Schatten-Geschichte so eingestehen mussten wie wir. So ist aus einer faschistischen Haltung eine kooperative geworden, aus Ausgrenzung das Bemühen um Integration. Aus Kontrolle wird Herzkraft, aus Funktion wird Authentizität. Auch wenn wir noch nicht angekommen sind – wir sind auf dem Weg – langsam, Schritt für Schritt.

Zu Hause angekommen, habe ich zunächst das Gefühl, viel zu langsam für meinen Alltag zu sein… Auch wenn ich inzwischen wieder ganz gelandet bin, etwas ist ‚anders’ geblieben: Ein innerer Abstand zu den Dingen der Welt… Ein gelassener Blick – vom Dach der Welt – auf die Konflikte des Lebens… Ein tiefes Wissen darum, dass jede Erfahrung, die wir machen, ihre Wurzeln in unserer Geschichte hat – sowohl persönlich als auch historisch.

Es gibt immer eine Archäologie des Augenblicks. Und ich erkenne meinen Platz in der Geschichte.

Danke, dass ihr 10 Tage mit mir gegangen seit…

Tibet 9: Der Teppichkauf

Von Lhasa führt unsere Reise zurück nach Kathmandu. Vor unserem Abflug haben wir 3 Tage, um Kathmundu zu erkunden, das beste Hotel der Stadt zu genießen und natürlich – zu shoppen. Carola weiß was sie will – einen Seidenteppich. Wulf gibt uns noch eine Einführung in die Kunst des nepalesischen Handelns – und dann machen wir beide uns auf den Weg in die Altstadt von Kathmandu.

Wir landen in einem Geschäft, das bis unter die Decke mit Teppichen voll ist. Wir werden vom Besitzer über schmale Stiegen bis hinauf ins 3. Stock geführt und lassen uns dort auf einem Berg von Teppichen nieder. Er beginnt ein Gespräch – über den Kailash, über Nepal, über die Kunst des Teppichknüpfens… Währenddessen beginnt sein Partner vor uns Teppiche auszubreiten und herauszufinden, was wir mögen und was uns nicht gefällt. Bald hat er ein sicheres Gefühl für unsere Vorlieben. Jeder Teppich, den wir nun zu sehen bekommen, ist wunderbar – ein Genuss für Augen, Füße und Hände…

Und plötzlich verschwindet für mich die Zeit… Ich bin vollkommen eingetaucht in die Welt eines Teppichhandels… Ich genieße jeden Augenblick. Kaufen und Verkaufen sind eine Form der Begegnung. Der Handeln um den Preis ist die Grundlage für den Beziehungstanz zwischen Händler und Käufer.

Eine Stunde später haben wir einen Teppich gekauft und alle sind glücklich. Als der Teppichverkäufer den Handel mit einem Handschlag besiegelt, sagt er: ‚Das war ein gutes Geschäft, denn wir teilen unsere Freude‘. Er erzählt davon, wie oft er Teppiche an Ausländer verkauft, die zwar den Preis herunterhandeln wollen, aber ihr Glück nicht kennen. Am Ende haben sie ein Schnäppchen gemacht, sind aber nicht glücklicher als vorher. Dann hat niemand eine gutes Geschäft gemacht.

Plötzlich fällt mir auf, wie oft wir etwas kaufen und verkaufen ohne das wir darüber glücklich sind… wie oft wir uns bei einem Handel am Ende doch übers Ohr gehauen fühlen… Unter einem sogenannten ‚guten Geschäft‘ wird in Deutschland oftmals verstanden, dass der Andere der Dumme ist. Mit dem Teilen von Freude hat das nichts zu tun..

An diesem Nachmittag habe ich gelernt:
Jedes gute Geschäft beinhaltet das Gleichgewicht von Geben und Nehmen.
Und ein gutes Geschäft erkennt man daran, dass wir gemeinsam unsere Freude teilen.

Tibet 8: Der Segen der Täter

Der ehemalige Regierungssitz des Dalai Lama in Tibet war der Potala-Palast – eine Mischung aus Kloster, Tempel und eben – Palast. Er ist an der höchsten Stelle von Lhasa über 13 Ebenen auf einen Berg gebaut.

Die tibetischen Tempel und Klöster haben die Eigenart, so gut wie keine Fenster zu besitzen – sie werden fast ausschließlich von Butterkerzen beleuchtet. In ihnen ist es immer dunkel. In einem Land, in dem viele Menschen nicht lesen konnten, wurden Tradition und Vision über Bilder vermittelt – alle Wände sind daher mit Tangkas und Mandalas in kräftigen Farben bemalt, die allerdings im Dunkeln nur schwer zu erkennen sind. Obwohl wir über 4000 m hoch sind, fühle ich mich, als wäre ich in eine Jahrtausende alte Gruft, tief unter der Erde hinabgestiegen.

Nach einer Stunde im Potala habe ich das Gefühl, an der Geschichte und ihren Geschichten zu ersticken. Ich will nur noch raus. Wo sich Tradition und Religion der Welt verschließen, gibt es keine Entwicklung, keine Quantensprünge. Die Zukunft verschwindet. Ich kann körperlich spüren, was es für den Dalai Lama bedeutet haben muss, 20 Jahre seines Lebens nahezu ausschließlich in diesem Palast gelebt zu haben… Und ich kann auf einmal verstehen, warum er sich in Interviews als ehemaligen Gefangenen des Potala bezeichnet hat…

Als wir schließlich wieder unter der Weite des tibetischen Himmels stehen, stelle ich fest: Wäre ich der Dalai Lama – ich würde den Chinesen jeden Morgen auf Knien danken, dass sie mich in die Welt getrieben haben…

Plötzlich kann ich den Verlauf der Geschichte aus einer anderen Sichtweise sehen: Die Tibeter haben bis zum Einmarsch der Chinesen eine Politik der Abschottung betrieben. Sie hatten kein Interesse am Austausch mit Andersartigkeit, am Teilen ihrer Erfahrungen. Ohne die Annektierung der Chinesen, würden wir den tibetischen Buddhismus nicht kennen. Ohne sie wäre der 14. Dalai Lama wohl eine unbekannte regionale Größe geblieben.

Alles was den jetzigen Dalai Lama auszeichnet, wäre ohne die Chinesen nicht wirksam geworden: Seine Offenheit für andere Sichtweisen… Seine Fähigkeit, Buddhismus und westliche Wissenschaft in einen Dialog zu bringen… Sein Mut, die große globale Politik immer wieder an den Weg des Mitgefühls zu erinnern…

Hätten die Chinesen sich nicht als Täter zur Verfügung gestellt hätten, wäre all das nicht in die Welt gekommen.

Es gibt wohl einen Segen der Täter…

Tibet 7: Ein Leitbild für Mitmenschlichkeit

Während Wulf uns vorne führt, schützt Dawa, unser nepalesischer Bergführer, das Ende unserer Karawane. Er, dem der Weg am leichtesten fällt, geht Tag für Tag mit denen, die schwach und langsam sind. Die schlichte Mitmenschlichkeit, mit der er das tut, habe ich in Europa bisher bei niemandem erlebt: Es gibt keine überhebliche Abwertung der Schwachen, kein Mitleid mit den Fremden und keine gönnerhafte Toleranz gegenüber den Unerfahrenen. Er ist einfach da. Er macht es für uns ein bisschen leichter – indem er uns mit nichts beschwert…

Eines Abend sage ich zu ihm: ‚Dawa, you are a bodhisattva for the trekking people‘. – Im Buddhismus ist ein Bodhisattva ein Mensch, der seine eigene Geschichte vollständig erlöst hat und damit aus dem Kreislauf der Wiedergeburten ausgeschieden ist. Ein Bodhisattva kehrt freiwillig in den Kreislauf des Lebens zurück, um die zu unterstützen, die für ihren Weg noch Zeit brauchen. – Dawa schaut mich an und antwortet: Yes, that’s what I want to be. Als er das sagte, kann ich spüren, dass dieses Leitbild seiner Religion für ihn ein Ruf ins Dienen ist.

Bei vielen Chinesen, denen wir in Tibet begegnet sind, konnte ich so etwas nicht spüren. In ihnen trifft man auf Funktionalität und Ordnung, aber nicht auf die Kraft des Herzens. Sie haben keinen spirituelles Leitbild für Mitmenschlichkeit mehr. Mit der Kulturrevolution haben sie versucht jegliche Form der Spiritualität auszulöschen. In Tibet ist ihnen das allerdings nicht gelungen. Im Gegenteil: die Okkupation von Tibet (1950) bewirkt inzwischen eine Wiederbelebung des Buddhismus in China.

Kein anderes Flüchtlingsvolk erhält soviel weltweite Unterstützung wie die Tibeter im Exil. Die weltoffene und integrative Haltung des Dalai Lama hat dazu sicherlich beigetragen. Er bewirkt, dass viele Tibeter sich – trotz Ungerechtigkeit, Gewalt und Folter – nicht zu Hass und Feindseligkeit hinreißen lassen. Er ist für viele Menschen inzwischen selber zu einer gelebten Verkörperung von Mitmenschlichkeit geworden.

Ohne Mitmenschlichkeit bleibt Führung ein Machtspiel. Ohne eine Leitbild des Dienens können wir über die Unterschiede der Welt keine Brücke der Mitmenschlichkeit bauen. Dann bleibt dass, was uns trennt, wirksamer als das, was uns verbindet…