Fehler-Kunst

Zum Geburtstag meines Vaters war unsere gesamte Familie in Düsseldorf im Roncalli Apollo Variete. Die Künstler waren alle aussergewöhnlich und alles lief perfekt… Und dann passiert plötzlich ein Flopp. Der ‚italienische‘ Confronsier fiel – von sich selbst unbemerkt – aus seiner Rolle und sprach auf einmal in reinstem Düsseldorfer Slang. Nach drei Sätzen kam er sich selbst auf die Schliche, schlug die Hand vor den Mund und stellte erschrocken fest: Auch du liebe Güte. Jetzt habe ich meinen italienischen Akzent verloren!

Nichts davon war geplant oder einstudiert. Es war einfach ein Fehler. Doch von da an, war der Bann gebrochen. Mit diesem Flopp hat er die Herzen aller Zuschauer erreicht. Immer wieder hat er auf sein Missgeschick angespielt und immer wieder haben wir schallend gelacht. Auf einmal war in einer nahezu perfekten Vorstellung ein menschlicher Augenblick eingefangen.

An diesem Abend habe ich eine völlig neue Sichtweise auf Fehler gewonnen. Es stimmt schon: When too perfect, God böse. Fehler schenken uns den Zauber des Augenblicks. In einer Zeit, in der es so viele inszenierte, simmulierte und retouchierte Wirklichkeiten gibt, wird der Fehler zum Garanten von Realität. Ich spüre mit jeder Zelle meines Körpers, dass ich live dabei bin… Ich erlebe hautnah mit, wie ein Augenblick aus dem Rahmen fällt und sich als Menschlichkeit entfaltet.

Was ein Glück, dass wir ab uns zu aus unserer Form fallen…

Medizin und die Logik der Gefühle

Ich habe gerade herausgefunden, dass es das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.v. (APS) bereits seit 2005 gibt. Ich war total begeistert, dass sich in unserem Gesundheitssystem endlich etwas in die richtige Richtung bewegt. Doch schon heute – zwei Tage nach der Meldung – spüre ich, dass die Information in der Öffentlichkeit schon wieder versickert ist. Selbst im Netz hat keiner der vielen Gesundheitsblogs die Nachricht aufgegriffen…

Die Erkenntnis, dass auch Ärzte Fehler machen, löst wohl in jedem von uns existenzielle Ängste aus. In der Medizin geht es schließlich um unseren Körper. So blenden wir die schlechten Nachrichten lieber aus und halten uns an einem Strohhalm der Hoffnung fest – weil wir den Ärzten vertrauen müssen, wenn es um unser Leben geht.

Als mein Vater vor 2 Jahren seine Herz-Operation hatte, habe ich am eigenen Leib gespürt, wie groß meine Misstrauen gegenüber Ärzten und Krankenhäusern ist. Ich habe erlebt, dass niemand im Rahmen der OP-Vorbereitung auf die Angst eingegangen ist, die mein Vater, mein Mutter, ich und meine Geschwister hatten. Es gab – und das auch erst nach hartnäckigem Nachfragen – sachliche Informationen, aber keine Emotionen.

Durch den Verzicht auf Mitmenschlichkeit und die Ausgrenzung der Gefühle entsteht für mich die größte Fehlerquelle. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ohne Mitgefühl von Grund auf gesund werden können… Eine Medizin, die nicht um die Logik der Gefühle weiß, kann nur herzlos und fehlerhaft werden.

Ich danke Dr. Matthias Schrappe (Vorstand der APS), Dr. Jörg-Dietrich Hoppe (Vorsitzender der deutschen Ärztekammer) und Ulla Schmidt (Bundesministerin für Gesundheit), die sich für eine neue Fehlerkultur im deutschen Gesundheitssystem einsetzen.

Vielleicht folgen diesem Beispiel ja irgendwann – aller Ignoranz zum Trotz – die Verantwortlichen für Familie, Bildung, Finanzen und Umwelt.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf..

Konstruktiver Umgang mit Fehlern

Vorgestern – 19.30 Uhr – ich schaue Nachrichten.

Ich traue meinen Ohren nicht, Ärzte berichten öffentlich über ihre Fehler, die sie im Laufe ihrer Berufspraxis gemacht haben. 17 Ärzte und Krankenschwestern haben sich zusammen getan und ihre Fehler in einer Broschüre dokumentiert. Ihr Anliegen: die Möglichkeit zu schaffen, aus Fehler zu lernen und damit die Qualität und Sicherheit im Gesundheitsweaen zu verbessern.
Zum Beispiel die Pharmaindustrie – manche Medikamente sind sehr ähnlich verpackt und beschriftet. Im Klinikalltag muss es oft schnell gehen, da wäre deutliche Kennzeichnung eine große Hilfe. Dazu kommen die vielen Überstunden, die das Krankenhauspersonal aus Kostengründen leisten müssen. Viele Fehler wären bestimmt vermeidbar, hätten Ärzte mehr Zeit, mit den Patienten zu sprechen, Fragen zu stellen und vor allen Dingen zuzuhören. Außerdem geschehen deutlich weniger Fehler, wenn ich Dinge in Ruhe zu Ende bringen kann und genug Zeit habe mich mit Kollegen auszutauschen. Ganz zu schweigen von den vielen Kollegen, die aus den gemachten Fehlern anderer lernen können. Dann muss vielleicht ein Fehler nicht so oft wiederholt werden.

Es ist oft fatal, wenn Ärzte Fehler machen. Menschen können Zeit ihres Lebens mit den Folgen zu tun haben. Heilungsprozesse können sich extrem verzögern – was wieder neue Kosten verursacht, oder der schlimmste Fall, Menschen müssen ihr Leben lassen.

Ich finde es sehr mutig, sich öffentlich zu seinen Fehler zu bekennen. Gerade für die Ärzte ist es nicht leicht, wo sie doch gerne zu weißen Göttern gemacht werden. Jetzt ist ein Anfang gemacht.

Scheinbar wird mein Traum von einer Fehlerkultur in Deutschland doch noch wahr. Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt.

Tibet 2: Wir brauchen einen Fährmann

Trotz umfassender Vorbereitung war dann natürlich alles anders als ich es befürchtet habe. Das Leben findet nun mal außerhalb unserer Vorstellung statt… So waren meine Ängste vor allem im Vorfeld real – sie dienten der gründlichen Vorbereitung.

Dennoch war meine Reise nach Tibet eine Reise ins Neuland. Dazu hatte ich mir Wulf als Fährmann gewählt.

Auf der Grundlage meinen eigenen Erfahrungen, wäre meine Pilgerreise wohl lebensgefährlich verlaufen… Ich kannte die Höhenkrankheit nicht… Ich hätte meine Erfahrungen aus dem Flussland (Düsseldorf liegt 50 Höhenmeter über NN) auf die Welt in der Höhe übertragen… Ich hätte mich mit meinen Ansprüchen in Lebensgefahr gebracht… Ich hätte dort geruht und geschlafen, wo es existenziell notwendig ist, in Bewegung zu bleiben… Ich hätte meinen Körper maßlos überfordert, weil wir Flussländer den gesunden Rhythmuswechsel des Körpers nicht mehr kennen…

Wir machen im Neuland immer Fehler: Wir übertragen altbekannte Vorstellungen auf ungewohnte Situation. Da unsere Sichtweisen wie Wahrnehmungsfilter wirken – können wir nicht mehr erkennen, dass das Leben uns gerade neue Möglichkeiten schenkt. Stattdessen reproduzieren wir mitten im Neuen das Alte – und machen damit wieder einmal die gleichen Erfahrungen.

Wulf konnte ich vorbehaltlos vertrauen, weil ich wusste, dass er um seine eigenen Grenzen weiß. Er hat mit Dawa von Asian Trekking für einen zusätzlichen Fährmann gesorgt. Wulf und Dawa waren eine bemerkenswerte Kombination: Der eine kannte sich aus mit den Eigenarten der Europäer, der andere war vertraut mit den Eigenarten der Nepalesen, Tibeter und Chinesen. Wir haben ihnen von Tag zu Tag mehr vertraut, weil jeder von ihnen seine Verantwortung ganz genommen und geteilt haben.

Im Neuland brauchen wir immer einen Fährmann – jemand, der sich dort auskennt, wo wir noch nicht waren. Nur wer sich führen lassen kann, kann etwas Neues erleben.

Kollision mit dem Airbag

Eigentlich wollte ich zum Getränkemarkt fahren… Plötzlich bremst ein Auto vor mir… Dann erinnere ich mich nur noch daran, dass sich der Abstand zwischen uns unglaublich schnell verringert. Mein Auto hat einen heftigen Zusammenstoß mit einem roten Wagen… und ich habe eine Kollision mit meinem Airbag. Plötzlich ist alles weich und puderig. Ich habe das Gefühl, für einige Augenblicke ganz und gar in einem weißen Universum zu verschwinden. Nichts bewegt sich, nichts tut weh. Die Welt steht still und ist in Puder gehüllt…

Als ich langsam wieder auf der Oststrasse in Düsseldorf lande, fällt mir als erstes auf, dass sich in dem Auto vor mir niemand bewegt. Als der Mann aussteigt, bebt er am ganzen Leib – er hat mich nicht kommen sehen und ist völlig im Schock. Wir stehen sprachlos zitternd voreinander und warten, bis die Welt wieder an ihren gewohnten Platz gefallen ist. Die ganze Strasse ist voller Unterstützer. Jemand ruft die Polizei, ein anderer bringt uns ein Glas Wasser, eine Frau bietet mir ihr Handy an… Die Polizei und der Rettungswagen sind schneller da, als ich wieder bei mir…

Auf dem gemeinsamen Weg ins Krankenhaus sprechen wir – Täter und Opfer. Er ist Kripobeamter – ich habe ihn in seinem Dienstwagen mitten im Dienst erwischt. Er ist 39 und hat zwei Kinder. Er ist – selbst im Schock – herzlich, freundlich und um mich besorgt. Er ist einfach sympathisch… Er scherzt darüber, dass seine Kollegen nun wohl wochenlang Witze darüber machen werden, dass er sich von einer Psychologin hat anfahren lassen…

Leider ist sein Airbag nicht aufgegangen, weil ich von hinten aufgefahren bin… Die Blutergüsse an meinem Arm hat mein Airbag verursacht. Jedes Mal wenn ich sie sehe, bin ich einfach nur dankbar…

Jetzt versuche ich die Adresse meines Opfers zu erfahren. Doch überall treffe ich auf Wände aus Datenschutz. Ich würde mich so gerne noch einmal entschuldigen – und erkundigen, wie es ihm geht… Ich gebe nicht auf.