Du sollst dich selbst unterbrechen

Dorothee Sölle war eine engagierte politische Theologin (1929-2003). Sie war Pazifistin, Antifaschistin und Poetin. Als ich studiert habe, war sie für mich ein mutiges Leitbilder… Ihre Theologie war immer von dem Bewusstsein geprägt, eine Theologie-nach-Ausschwitz zu sein. Theologisches Nachdenken ohne politische Konsequenzen war für sie Heuchelei.

Und doch gehört sie zu denen, die dabei immer liebevoll im Alltag wurzelte. Und Gedichte schrieb, die den Rhythmus meines Herzen verändert haben. Wie dieses zum Beispiel. Die Erinnerung an die bewusst gewählte Musterunterbrechnung trifft für mich das Mark der Zeit.

Du sollst dich selbst unterbrechen

Zwischen Arbeiten und Konsumieren
soll Stille sein und Freude,
dem Gruß des Engels zu lauschen:
Fürchte dich nicht!

Zwischen Aufräumen und Vorbereiten
sollst du es in dir singen hören,
das alte Lied der Sehnsucht:
Maranata, komm, Gott, komm!

Zwischen Wegschaffen und Vorplanen
sollst du dich erinnern an den ersten Schöpfungsmorgen,
deinen und aller Anfang,
als die Sonne aufging ohne Zweck
und du nicht berechnet wurdest
in der Zeit,
die niemandem gehört
außer dem Ewigen.
(Dorothee Sölle)

Ein Tisch und seine Geschichte

In dem Hotel auf Sri Lanka, in das wir immer mal wieder zur Ayurvedakur fahren, stand früher im Foyer ein großer Tisch aus schwarzem Holz. All abendlich haben sich um diesen Tisch Gäste getroffen, sich gegenseitig inspiriert und zum Staunen gebracht. Als der Tsunamie kam, hat er ihn einfach mitgenommen…

Nun waren wir wieder dort und haben an der gleichen Stelle einen neuen Tisch entdeckt. Ein Schreiner aus dem Hotel war nach dem Tsunamie losgezogen und hatte in den Trümmern nach Bruchstücken gesucht. Er fand elf verschiedene Hölzer und hat in liebevoller Arbeit  einen neuen Tisch gebaut.

Als die Eigentümerin des Hotels uns die Geschichte erzählt, bin ich sprachlos. Ein runder Tisch aus Tsunamie-Trümmern – was für ein Sinnbild für eine gelungene Transformation. Wir können aus Katastrophen neue Möglichkeiten kreieren – und Brüchen wieder zu etwas Ganzem zusammenfügen.

Wenn wir abends um den Tisch sassen, wurde immer mal wieder seine Geschichte erzählt. Kurze Zeit später waren alle in intensiven Gesprächen versunken. Jeder von uns hatte Krisen, Brüchen und Schicksalsschläge erlebt. Und auf irgendeine Weise hatte jeder einen Weg gefunden, aus schmerzlichen Erfahrungen eine lebendige Zukunft für sich und seine Familie wachsen zu lassen… Es waren spannende Abende – voller berührender Geschichten und ermutigender Begegnungen. Anschließend bin ich jedesmal beseelt und dankbar ins Bett gesunken.

Manchmal habe ich dann vor dem Einschlafen gedacht: Ob die Tiefe dieser Geschichten vielleicht aus dem Tisch entsprungen ist?

Alles ist Gnade

Leonard Cohen live zu erleben war für mich im letzten Jahr eine unvergessliche Erfahrung. Ich wußte um seinen Kampf gegen die Depression, seine heilsam Zeit im Zen-Kloster, über den Verlust seines Vermögens… Seine gesungene Poesie über all das – und mehr – hat mich tief bewegt und immer wieder zu Tränen gerührt.

Irgendwie scheint es zu unserem Menschsein dazuzugehören, dass das Leben unsere Pläne unterbricht. Uns Erfahrungen zumutet, die wir nicht haben wollen. Uns auffordert zu wachsen – gerade dort, wo wir es freiwillig nicht tun.

Inzwischen weiß ich die Brüche und Bruchstellen zu schätzen, die unverhofft in mein Leben einbrechen. Ich weiß, dass sich gerade aus unserem Schmerz das Wertvollste schöpfen lässt.

Mit der Zeit wächst das Staunen: Alles ist Gnade.

Ring the bell that still can ring.
Forget your perfect offering.
There ist a crack in everything,
Thats how the light gets in.

http://vimeo.com/6591817

 

Der Schlüssel zum Glück

Es gibt einen Text aus dem Talmud, der mich seit einigen Jahren begleitet. Ich habe ihn immer wieder gehört, gelesen, geschrieben. Als er mir heute begegnete, passierte etwas Wundersames. Ich habe auf einmal kristallklar gespürt: Jede mentale, emotionale, körperliche Bewegung hat Konsequenzen.

Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Deine Worte.
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Deine Gefühle.
Achte auf Deine Gefühle, denn sie werden Dein Verhalten.
Achte auf Dein Verhaltensweisen, denn sie werden Deine Gewohnheiten.
Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.
Achte auf Dein Schicksal, denn in diesem Raum entstehen Deine Gedanken.

Das heißt – kleine Veränderungen können große Wirkungen haben. Und Achtsamkeit ist der Schlüssel zum Glück. Was für eine Möglichkeit…