Ubuntu: Ich bin, weil es euch gibt

Einer der Menschen, die mich in meinem Leben wie ein Leuchtturm begleiten, ist Nelson Mandela. Sein unbeirrbarer Glaube an mitmenschliche Möglichkeiten und einen friedlichen Weg lässt mich immer wieder durchatmen – und dranbleiben.

Er steht für mich für die afrikanische Tradition des Ubuntu: “I am because you are.” Dahinter verbirgt sich das Wissen um eine tiefe Verbundenheit zwischen allen Menschen, mit der Natur und dem Leben. Hier gibt es keine Unabhängigkeit. Alles ist mit allem verbunden – es sei denn, wir trennen uns. Abhängigkeit wird zu einem Ausdruck von Unverbundenheit. Und Freiheit beginnt, wenn wir wissen, dass wir Teil des Ganzen sind – und dazugehören.

Experience Ubuntu

Ubuntu weiß: Ich bin, weil es euch gibt.

  • Am Anfang bedeutet das: Ohne die Gemeinschaft unserer Familie können wir
    nicht überleben.
  • In unserer Jugend heißt das: Identität finden wir im Dialog und der Auseinandersetzung mit Anderen.
  • Als Erwachsener zeigt es uns: Manche persönliche Entwickungen brauchen
    ein ganzes Dorf.
  • Als Lebewesen auf dieser Erde erinnert es uns: Nachhaltigkeit braucht die Verbundenheit mit der Natur.
  • Für die Zukunft lehrt es uns: Große Visionen gelingen nur gemeinsam (mit
    unseren Gegnern).

Ich bin aufgewachsen mit einem tiefen Entweder-Oder zwischen Individualität und Gemeinschaft. Beide waren in Konkurrenz zueinander aufgestellt: Entweder ging es um Egoismus oder um Altruismus. In meinen jungen Jahren war meine Sehnsucht nach Zugehörigkeit so groß, dass ich bereit war, auf individuelle Impulse und Eigenarten zu verzichten. Mit der Zeit ist mir dann mein Selbst wichtig geworden – wie eine Edelstein, der geschliffen werden will. Ich habe gespürt, dass sich eine Gemeinschaft nur entwickeln kann, wenn sich jeder ganz einbringt. Ganz bedeutet hier nicht perfekt, sondern: sowohl mit Stärken wie auch Schwächsen. Unsere Schwächen sind das Tor
zum Du, und unsere eigene Unvollkommenheit macht Mitmenschlichkeit und Verbundenheit möglich.

In Ubuntu verbinden sich Gemeinschaft und Individuaität auf eine Weise, die wir in Europa kaum kennen. Selbst-Entwicklung steht hier im Dienst für die Gemeinschaft. Die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens ist dann: Wie kann ich mit meiner Entwicklung der Gemeinschaft und dem Leben dienen?

Das motiviert Menschen zu großen Taten. Das bettet ihre Fähigkeiten ein in einen tieferen Sinn. Das gab Nelson Mandela die Kraft, 30 Jahre im Gefängnis zu sein – ohne bitter und hart zu werden. Für mich ist es der Wind unter den Flügeln. Es inspiriert mich, mich immer wieder ins Nicht-Wissen zu bewegen, und mich mit unseren ungelebten Möglichkeiten und ungenutzten Ressourcen zu verbinden.

Die Intelligenz des Körpers

Manchmal stelle ich mir vor, dass Billionen von Individuen glücklich in einer Gemeinschaft zusammen leben:

Alle wissen um was es geht.
Jeder bringt persönliche Fähigkeiten und Handicaps mit.
Jede Sichtweise hat ihre eigene Wahrheit.
Jeder hat ein klares Bild von dem, was er einzubringen hat.
Jeder akzeptiert, dass er unvollkommen ist und Hilfe braucht.
Jeder weiß, dass seine Begabungen erst in Kombination mit anderen wirksam werden.
Jeder integriert die Entwicklungen der anderen auf seine Weise ins Gemeinsame.

Solch eine Gemeinschaft gibt es. Es ist unser menschlicher Körper.

Offensichtlich funktionieren unsere Zellgemeinschaften besser als unsere menschlichen Gemeinschaften. Es gibt in unserem Körper keine heimatlosen Zellen, niemand ist sinnlos und ohne Bedeutung. Jeder ist bereit, alles von sich einzubringen, damit das größere Ganze gesund leben kann.

Wenn wir den Lebensstil unseres Körpers als Leitmotiv wählen würden, ginge es auf unserem Planeten wohl friedlicher und lebendiger zu… Wir könnten zu einem gemeinsamen Organismus und zu einer globalen Gemeinschaft zusammenwachsen.

Ich habe meinen Körpers als Leitbild gewählt.
Was lehrt dich dein Körper?

Die Klassenfahrt: Das Wir gewinnt

Auf einer Geburtstagsfeier treffen Birgit-Rita und ich eine Freundin. Elke ist Lehrerin an einer Gesamtschule und ist gerade von einer 1-wöchigen Klassenfahrt mit elf- bis dreizehn-jährigen Schülern zurück. Wir sind neugierig – und Elke erzählt:

An ihrer Schule werden inzwischen Klassenlehrer-Duos eingesetzt. Damit lag die Gestaltung der Klassenfahrt bei ihr und ihrer Team-Partnerin. Die beiden wollten den Schülern mit dieser gemeinschaftlichen Erfahrung vermitteln, dass sich Selbstvertrauen in der Auseinandersetzung mit der Welt entwickelt und dass es Spaß macht, innerhalb einer Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen.

So haben sie sich für eine Haus mit Selbstversorgung entschieden. Die Kinder waren für die Essensplanung, den Einkauf, das Kochen und Abwaschen zuständig. Die Kinder wurden in Kleinfamilien aufgeteilt, die jeweils ein eigenes Haus bewohnten. Jedes Haus hatte eine bestimmte Verantwortungen für das gemeinsame Miteinander. Die einen waren für das Geld zuständig, andere für den Einkauf oder das Kochen. Jeder war wichtig… Sie haben mit den Kindern Ausflüge in die Umgebung unternommen und gemeinsam an einem Outdoor-Training teilgenommen.

Elke erzählt mit glänzenden Augen über ihre ungewöhnlichen Erfahrungen. Gerade die schwierigen Schüler haben sich am meisten für das gemeinsame Wohlergehen engagiert. Viele Konflikte ließen sich gemeinsam lösen, weil alle ihren Beitrag leisten wollten. Ein Diebstahl wurde von allen betroffenen Seiten verantwortet und damit zu einer Lernerfahrung für alle.

Wie begeistert Kinder soziale Verantwortung übernehmen, wenn sie spüren, dass sie wichtig sind…
Wie leicht ihnen das Lernen fällt, wenn sie erleben, dass das Gelernte für die Gemeinschaft von praktischer Bedeutung ist…

Immer mehr Kinder können Wissen nur im Kontext eines sinnvollen Zusammenhangs lernen. Sie lernen gerne und leicht, wenn sie mitmenschliches Wohlwollen erleben und um die praktische Relevanz des Gelernten wissen. Damit fordern sie uns heraus, für sie und uns einen Lern-Weg in die Zukunft zu entwerfen, der praktisch, sinnvoll und herzvoll ist – oder keine Weg sein wird.

Wann und wie lernen Sie eigentlich leicht und gerne?

Was wir nicht alleine schaffen…

Ich bin im Auto unterwegs. Im Radio läuft mein persönlicher Favorit unter den Sendern – WDR 5. Am frühen Nachmittag: Lilipuz – Das Radio für Kinder. Ein Mädchen ist am Telefon und hat einen Musikwunsch: Was wir alleine nicht schaffen – von Xavier Naidoo. Ich singe begeistert mit und lasse mich von den Rap-Frequenzen bewegen. Ich kann es kaum glauben: Ein 10-jähriges Mädchen hat sich diesen Text gewünscht.

Anschließend erzählt der Redakteur, dass dieses Lied zu den am häufigsten gewünschten Songs bei Lilipuz gehört.

Die jungen Generationen wissen es also längst: Die Zeit der einsamen Wölfe ist vorbei. Alles was jetzt wirkt, ist gemeinsam bewirkt. Beim Fahren wachsen mir Flügel der Freude.

Ich bin in den 50gern geboren. Die meisten meiner Generation haben gelernt, zu beweisen, dass sie niemanden brauchen. Dieser Stolz – gepaart mit Neid – hat uns Jahrzehnte von Konkurrenz und Isolation beschert. Für viele, die nach dem Krieg geboren sind, bedeutet das Eingestehen von Schwächen und das Bitten um Hilfe einen emotionalen Super-Gau. Die Beweiskraft, die uns geprägt hat, hat uns getrennt – vor allen von den Generationen vor uns und nach uns.

Bei den Jungen erlebe ich eine große Selbstverständlichkeit im Umgang mit den eigenen Handicaps. Sie wissen, was sie nicht können – manchmal zu gut. Sie können gut um Hilfe bitten. Wenn sie jemanden finden, der sich von Herzen für sie interessiert, verbinden sie sich und lernen schnell – von ihm und am liebsten mit ihm. Sie achten die Erfahrungen der Älteren und verfügen über das Selbstvertrauen, sie mit ihren eigenen Fragen zu inspirieren.

Für sie und mit ihnen ist generationsübergreifendes Lernen möglich – in beide Richtungen. Jetzt kommt es darauf an, ob wir die Chance zur Kombination nutzen.

Was wir nicht alleine schaffen, schaffen wir dann zusammen.

Ich bin vor Freude völlig aus dem Häuschen: Endlich sind wir reif für das, wovon ich immer getr äumt habe.

Ich bin eine Klinsfrau

Ich stelle erstaunt fest: Jürgen Klinsmann und die WM haben mich verändert. Diese leidenschaftliche Teamkraft und Unbeschwertheit, dieses gemeinsame Ringen um das Beste, dieser glückliche Taumel von Sommer-Menschen…

All das hat in mir eine Tür geöffnet, hinter der ich lange Zeit sorgsam verborgen hielt, was mir unerreichbar schien: Meine Sehnsucht nach einer Lebensweise der Unmittelbarkeit. Nach einer Gemeinschaft voller Unterschiede, die sich durch Anteilnahme, Lebendigkeit und Verbundenheit auszeichnet. In der es keine Kultur der Trennung (durch Stolz und Neid) gibt, weil jeder weiß, dass es ohne die Anderen nicht geht – und vor allem keinen Spaß macht. Für ein paar Wochen hat dieses Gefühl uns alle wie eine Welle umspült. Unsere Sehnsucht nach Gemeinsamkeit ist endlich größer geworden als unsere Kultur der Eitelkeiten…

Jürgen Klinsmann wirkt – immer noch: Ich weiß wieder, woran ich in meinem Leben mitwirken werde… Ich erlebe die erwachte Sehnsucht wie einen Bogen, der die notwendige Spannung für meine Wirkkraft erzeugt. Manchmal zerfließe ich dabei im Strom der Gefühle… Manchmal verbrenne ich mich an meiner eigenen Leidenschaft. Es ist gar nicht so einfach, mitten im Feuer der eigenen Vision zu stehen und nicht zu verglühen…

In meiner Geschichte habe ich gelernt, meine Wahrnehmung und meine Liebe abzukühlen. Ich habe die Dinge beschwert, damit sie Tiefe bekommen…. Weil ich ihre Leichtigkeit nicht ertragen konnte, habe ich ihnen noch eine Extraportion Schwerkraft (manchmal auch Schwermut) zugefügt. Ich wollte mit ihnen bis zum Grund sinken. Ich habe lange geglaubt, nur das Schwere und Besondere stiftet Verbundenheit…

Jetzt erlebe ich, dass Leichtigkeit uns Flügel verleiht.
Jetzt spüre ich, dass Sehnsucht uns Spannkraft schenkt.
Jetzt weiß ich wieder, dass wir für Vernetzung geboren sind.

Ja, Martina: Ich bin eine Klinsfrau.