Der sechste Sinn gehört dem ganzen Körper

Jeder kennt die fünf Sinnesorgane – und natürlich auch den siebten Sinn. Der sechste Sinn ist so selbstverständlich, dass wir ihn in der Regel vergessen und kaum bedenken – unser Körpersinn. Zahlreiche Rezeptoren an Muskeln, Sehnen und Knochen vermitteln uns ein Gefühl für unseren Körper und für unsere Bewegungen im Raum – jeden Augenblick und ohne, das wir es bewusst wahrnehmen.

Bei Zeit online habe ich einen Artikel gefunden, der unseren Körpersinn wunderbar anschaulich beschreibt. Es lohnt sich ihn zu lesen. Mich hat er – mitten in meinen alltäglichen Bewegungen – zum Staunen gebracht.

Die Intelligenz des Körpers

Manchmal stelle ich mir vor, dass Billionen von Individuen glücklich in einer Gemeinschaft zusammen leben:

Alle wissen um was es geht.
Jeder bringt persönliche Fähigkeiten und Handicaps mit.
Jede Sichtweise hat ihre eigene Wahrheit.
Jeder hat ein klares Bild von dem, was er einzubringen hat.
Jeder akzeptiert, dass er unvollkommen ist und Hilfe braucht.
Jeder weiß, dass seine Begabungen erst in Kombination mit anderen wirksam werden.
Jeder integriert die Entwicklungen der anderen auf seine Weise ins Gemeinsame.

Solch eine Gemeinschaft gibt es. Es ist unser menschlicher Körper.

Offensichtlich funktionieren unsere Zellgemeinschaften besser als unsere menschlichen Gemeinschaften. Es gibt in unserem Körper keine heimatlosen Zellen, niemand ist sinnlos und ohne Bedeutung. Jeder ist bereit, alles von sich einzubringen, damit das größere Ganze gesund leben kann.

Wenn wir den Lebensstil unseres Körpers als Leitmotiv wählen würden, ginge es auf unserem Planeten wohl friedlicher und lebendiger zu… Wir könnten zu einem gemeinsamen Organismus und zu einer globalen Gemeinschaft zusammenwachsen.

Ich habe meinen Körpers als Leitbild gewählt.
Was lehrt dich dein Körper?

Tibet 4: Immer nur eins – und das ganz

Unter Akklimatisierung hatte ich mir vorgestellt, dass – nach einer Zeit der Anpassung – oben alles so läuft wie unten. Doch weit gefehlt… In der Höhe nimmt nicht nur der Sauerstoff sondern auch der Luftdruck kontinuierlich ab. Und das hat weit reichende Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Körpers. Es gibt in den Bergen nur bis 4200 Höhenmeter menschliche Siedlungen. Alles, was darüber liegt, können wir zwar eine Weile lang aushalten, es gewährleistet uns aber keinen regenerativen Lebensraum. Hier bleiben wir Fremdlinge.

 

 

Ihn über 4000 m Höhe ist die Fürsorge für die eigenen körperlichen Belange jeden Moment wichtig. Ich lerne, unmittelbar auf meine Bedürfnisse zu antworten. Jedes Zaudern hat Konsequenzen. Unter den Belastungen der Höhe ist das Immunsystem bis zum Äußersten gefordert. Rücksichtslosigkeit gegenüber dem eigenen Körper bezahlt man in dieser Höhe sofort – mit Kopfschmerzen, Schwäche, Erkältung, Fieber.

Die Reduktion von Sauerstoff führt notwendigerweise zur Vereinfachung des Lebens. Das beginnt für mich als erstes einmal damit, dass ich nicht mehr gleichzeitig Denken, Fühlen und Handeln kann. Ich muss wählen. Es geht immer nur eins – und das braucht mich ganz.

Bisher war mein Körpergefühl für mich selbstverständlich. Die Erfahrung der Höhe, des reduzierten Sauerstoffs, der Anstrengung und der notwendigen Sorge für mich selbst, hat mir gezeigt: Was wir als Selbstverständlichkeit erleben ist das energetische Zusammenspiel von unserem Körper mit seiner Umwelt.

Es gibt keine Unabhängigkeit.
Alles ist mit allem verbunden.

Tibet 2: Wir brauchen einen Fährmann

Trotz umfassender Vorbereitung war dann natürlich alles anders als ich es befürchtet habe. Das Leben findet nun mal außerhalb unserer Vorstellung statt… So waren meine Ängste vor allem im Vorfeld real – sie dienten der gründlichen Vorbereitung.

Dennoch war meine Reise nach Tibet eine Reise ins Neuland. Dazu hatte ich mir Wulf als Fährmann gewählt.

Auf der Grundlage meinen eigenen Erfahrungen, wäre meine Pilgerreise wohl lebensgefährlich verlaufen… Ich kannte die Höhenkrankheit nicht… Ich hätte meine Erfahrungen aus dem Flussland (Düsseldorf liegt 50 Höhenmeter über NN) auf die Welt in der Höhe übertragen… Ich hätte mich mit meinen Ansprüchen in Lebensgefahr gebracht… Ich hätte dort geruht und geschlafen, wo es existenziell notwendig ist, in Bewegung zu bleiben… Ich hätte meinen Körper maßlos überfordert, weil wir Flussländer den gesunden Rhythmuswechsel des Körpers nicht mehr kennen…

Wir machen im Neuland immer Fehler: Wir übertragen altbekannte Vorstellungen auf ungewohnte Situation. Da unsere Sichtweisen wie Wahrnehmungsfilter wirken – können wir nicht mehr erkennen, dass das Leben uns gerade neue Möglichkeiten schenkt. Stattdessen reproduzieren wir mitten im Neuen das Alte – und machen damit wieder einmal die gleichen Erfahrungen.

Wulf konnte ich vorbehaltlos vertrauen, weil ich wusste, dass er um seine eigenen Grenzen weiß. Er hat mit Dawa von Asian Trekking für einen zusätzlichen Fährmann gesorgt. Wulf und Dawa waren eine bemerkenswerte Kombination: Der eine kannte sich aus mit den Eigenarten der Europäer, der andere war vertraut mit den Eigenarten der Nepalesen, Tibeter und Chinesen. Wir haben ihnen von Tag zu Tag mehr vertraut, weil jeder von ihnen seine Verantwortung ganz genommen und geteilt haben.

Im Neuland brauchen wir immer einen Fährmann – jemand, der sich dort auskennt, wo wir noch nicht waren. Nur wer sich führen lassen kann, kann etwas Neues erleben.

Körper-Weisheit: Mitmenschlichkeit entspannt

Meine jüngste Schwester ist Physiotherapeutin. Als wir miteinander telefonieren erzählt sie mir, dass immer mehr Patienten nicht mehr loslassen können. Sie kennen den Rhythmus von Spannung und Entspannung nicht mehr, der die Basis vom Gesundheit und Wohlbefinden ist. Sie fragt sich, wie ihre Körperarbeit wirken kann, wenn Menschen die körperliche Frequenz des Nehmens nicht mehr finden.

Ich spreche über die entspannende Wirkung von Mitmenschlichkeit. Über Körperkontakt, der von Herzen kommt und uns zum Weinen und zum Lachen bringt…

Ich kenne inzwischen so viele Menschen, die Jahre von Therapie hinter sich haben und dabei fast an Herz-Losigkeit erfroren sind. Sie konnten nicht spüren, dass sich der Therapeut wirklich für ihr Schicksal interessiert… Sie haben sich im Kopf – aber nicht im Herzen – verstanden gefühlt.

Mitmenschlichkeit und Warmherzigkeit sind längst nicht mehr selbstverständlich. Sie sind zu einem seltenen Heilmittel geworden…

2 Wochen später ruft sie mich an und erzählt mir von den Auswirkungen unseres Gespräches: Sie hat für ihre Patienten eine Übung erfunden: Nach jeder Sitzung bekommen sie von ihr einen Kieselstein, den sie zur nächsten Sitzung wieder mitbringen – beschrieben mit einem Wort oder einen Satz über das, was sie erfahren haben und nicht vergessen wollen. Dieser Stein kommt dann in eine Schale – zu den Steinen der anderen Patienten. So wachsen sichtbar Spuren der Dankbarkeit.

Alle heilsamen Wege sind einfach.

Dein Mut zur Mitmenschlichkeit hat mich sehr berührt, Andrea.
Danke für dein Teilen. Mit dir wächst mein eigener Mut zu unkonventionellen Wegen.