Die Regeln brechen – im eigenen Kopf

Anders zu denken – über uns selbst, über andere, über gemeinsame Möglichkeiten von Zukunft – ist nicht so leicht, wie es klingt. Und es passiert uns in der Regel auch nicht einfach so. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Oftmals steht uns unser Wissen dabei im Weg – vor allem dann, wenn wir zu guten Spezialisten geworden sind. Dann laufen wir Gefahr, neue Erfahrungen durch unsere gewohnten Wissensfilter laufen lassen – so bleibt am Ende von den neuen Impulsen nicht mehr viel übrig.

Unser Bewusstsein besteht zu einem großen Teil aus geronnener Geschichte. Das heißt, die Regeln, aus denen sich unser Bewusstsein entwickelt, lernen wir von klein auf – relativ unbewusst und oftmals ohne wirkliche Alternative. Aus ihnen bildet sich schließlich das ‚Betiebssystem‘, das unser Denken, Fühlen und Handeln steuert. Dieses konditionierte Regelsystem definiert unsere Komfortzone – mit all ihren Heuristiken und Routinen. Hier deuten wir Erfahrungen durch den Filter der Vergangenheit und wir entscheiden nach alten Regeln. Das ist für uns vertrautes Terrain – einfach, bequem, schnell. Aber eben nicht innovativ…

In transformatorischen Prozessen und bei der Gestaltung von Zukunft stehen uns diese Regeln eher im Weg. Wenn wir etwas Neues erleben und gestalten wollen, ist es wichtig, uns immer wieder von eingespielten Regeln zu lösen – oder sie bewusst zu unterbrechen. Das macht Sven Gabor Janszky als Präsident der Rulebreaker Society in diesem Video sehr deutlich:

Gabor Janszky: Wer innovativ sein will, muss vergessen lernen

Ich habe relativ früh damit begonnen, mich mit meinem eigenen ‚Betriebssystem‘ auseinanderzusetzen, und die Regeln aufzuspüren, nach denen unser Bewusstsein funktioniert. Ich habe das nicht ganz so freiwillig gemacht, wie es sich hier liest. Mein Mut zur Musterunterbrechung wurde von viel Verzweiflung und Einsamkeit befeuert. Sie haben mich dazu bewegt, mich mit Menschen zu verbinden, die spüren, dass wesentliche Aspekte von uns in den Geschichten, die unser Regelsystem erlaubt, nicht auftauchen. Dass sich das Wilde und Ungzähmte von uns darin gar nicht enfalten kann…

Ich habe immer wieder erlebt, mit wie vielen Gefühlen das Brechen von Regeln verbunden war. Manche haben mich beflügeln (Neugier, Vorfreude, Begeisterung). Manche lösten Unsicherheit aus (Angst, Selbstzweifel, Hilflosigkeit). Immer war es leichter, wenn ich sie mit Anderen teilen konnte. Jedesmal wenn ich diese Gefühle annehmen, wertschöpfen und in ihrer Kraft würdigen konnte, konnte ich mich wieder etwas flüssiger durch den Raum der Möglichkeit bewegen.

Auf diesem Weg habe ich den offenen Raum schätzen gelernt, den die Japaner Ma nennen. Ma – das bedeutet: jedes Wissen, jede Bewegung, jeder Gegenstand, jede Beziehung erlangt seine Bedeutung durch den Raum (die Leere), der sie umgibt – und alles miteinander verbindet.

Mich inspiriert das. Denn es bedeutet auch: Wenn wir aus der Komfortzone unseres eigenen Denkens heraustreten, landen wir in der Fülle der Möglichkeiten, die das Leben für uns bereit hält.
Alles Neue beginnt mit unserem Mut zum Nichtwissen…

(1) Gerald Hüther, Wie kann ich meinen Geist dazu bringen, die Komfortzone zu verlassen? 2017
(2) Minimalistenfreunde, Ma – das japanische Konzept der Leere. 2014
(3) Sven Gabor Janszky, Stefan A. Jenzowsky, Rulebreaker. Wie Menschen denken, deren Ideen die Welt verändern. 2013
(4) Christiane Windhausen, Birgit-Rita Reifferscheidt, Das flüssige Ich. Führung beginnt mit Selbstführung. 2012

Dreifaltigkeit – Gott ist Beziehung

Talk at Google hat den Franziskanerpater Richard Rohr zu einem Interview eingeladen. Gesprochen haben Sie über die Dreifaltigkeit Gottes, ihre Bedeutung für die Transformation unserer Beziehungsfähigkeit – und über sein letztes Buch Divine Dance. Ich habe 48:37 Minuten lang wie gebannt zugehört – und überall die Liebe entdeckt.

Richard Rohr bringt mit seinem Verständnis der Dreifaltigkeit eine Beziehungsdimension ins Gottesbild hinein, die mich berührt und bewegt. Er sprengt das duale Bewusstsein auf und beschreibt sehr fühlbar, was in unserem Bewusstsein (und unseren Beziehungen) passiert, wenn eine dritte Position (Person) ins Spiel kommt.

Es geht um einen radikalen Paradigmenwechsel, für den das Bewusstsein bis heute nicht reif war. Der dualistische Verstand sieht alles in Zweierbegriffen, die Dreifaltigkeit aber führt uns zum Gesetz der Drei, statt des Gesetzes der Zwei. Das Gesetz der Zwei ist immer gegensätzlich, das Gesetz der Drei ist in sich dynamisch und fließend.

Während meines Studiums hat mich die Trinität Gottes wenig interessiert. Sie wurden so abstrus erklärt, dass ich sie nicht mit meinem eigenen Leben verbinden konnte. Aber ich habe immer wieder erlebt, wie wertvoll für meine Entwicklung gerade die Beziehungen waren, die den begrenzten Horizont einer Zweierbeziehung sprengten (berufliche Partnerschaften, Familie, Lebensgemeinschaften, Teams, usw.).

Richard Rohr hat es geschafft, mich über die Dreifaltigkeit noch mal staunen zu lassen… Für ihn offenbart sich das Göttliche vor allem in den Bewegungen zwischen uns, und zwar als ein nicht endender dynamischer Prozess.

Richard Rohr: "Divine Dance: The Trinity and Your Transformation" | Talks at Google

Der Gedanke, dass lebendige und dynamische Beziehungen mit Drei beginnen, ist nicht neu. Sigmund Freud sprach in diesem Zusammenhang von Triangulierung. Und beschreibt anschaulich, welche Individualionsprozesse in der Entwicklung des Kindes erst mit der Gegenwart einer weiteren Bezugsperson möglich werden. Um aus der symbiotischen Mutter-Kind Beziehung herauszuwachsen, braucht es eine dritte Peson – in seinem Fall den Vater. Erst sie ermöglicht die Ablösung aus der symbiotischen Mutter-Bindung, und eine Autonomie-Entwicklung des Kindes.

Solange wir in einem dualen Bewusstsein leben, ist die Beziehung zum Anderen immer geprägt von verbünden, ergänzen, ausgrenzen. Wir verbünden uns im Ähnlichen, wir ergänzen uns in unseren Unterschieden, wir grenzen uns ab vom dem, was uns befremdet. Damit stecken wir in einer dualen Welt fest. Sie basiert auf schwarz und weiß, richtig und falsch, oben und unten. Wir vergleichen uns, und schätzen den Anderen als höher oder tiefer, besser oder schlechter ein.

In jedem Fall können wir immer nur eine Seite sehen – von uns, vom Anderen. Wenn wir die schillernden Facetten erkennen wollen, die sich in unseren blinden Flecken verbergen, brauchen wir zusätzliche Perspektiven, Sichtweisen, Blickwinkel. Und die kommen erst mit anderen Menschen ins Spiel…. Sobald eine zusätzliche Person den Beziehungsraum betritt, können sich unsere Selbst- und Fremdbilder verflüssigen. Auf einmal werden Unterschiede deutlich und verschiedene Rollen möglich. Grenzen werden erfahrbar – und mit ihnen neue Kontaktformen.

Richard Rohr beschreibt für mich hier sehr fühlbar die DNA eines neues Wir-Bewusstseins. Ein Wir, in dem Eigenständigkeit und Gemeinschaft miteinander verbunden sind, das auf Vielfalt basiert und sich als Freude an Unterschieden zeigt.

Die Zeit ist reif, sind wir es auch?

(1) Richard Rohr, Divine Dance: The Trinity and Your Transformation. 2016
(2) Marion Küstemacher, Tilman Haberer, Werner Tiki Küstenmacher, Gott 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird. 2010
(3) Ken Wilber, Integrale Spiritualität. Spirituelle Intelligenz rettet die Welt. 2007
(4) Svenja Hofert über Spiral Dynamics. 2012
(5) Peter Spiegel, Megatrend WeQ – Die DNA aller sozialen Innovationen. 2014

Kunst – aus Verletzlichkeit erschaffen

Ich bin vom Leben nur mit einer relativ geringen Portion Radikalität ausgestattet worden. Ich war auch noch nie besonders gut darin, mich meiner Angst zu stellen – und sie in Mut zu wandeln. Vielleicht beeindruckt mich die Performance-Künstlerin Marina Abramovic deshalb so tief. Für sie ist Angst eine Grenze, die es zu überwinden gilt. Ein Tor hinein ins eigene Potenzial, ein Schlüssel in die Freiheit. Und sie lässt sich durch nichts und niemanden davon abhalten, das zu tun, was sie fürchtet.

Ich habe bei meiner Arbeit schon sehr früh herausgefunden, dass ich mich nicht verändern werde, solange ich immer nur Dinge tue, die ich mag. Nur wenn du Dinge machst, vor denen du Angst hast, die du nicht wirklich kennst oder die sogar völliges Neuland für dich sind, nimmst du neue Perspektiven ein. Du erreichst ein anderes Bewusstsein. Genau das ist mein Ziel. (1)
Ihre Kunst ist ein Energie-Dialog – geboren aus Verwundbarkeit. Ein unkontrollierbares Ereignis zwischen ihr und ihrem Publikum. Sie setzt sich gnadenlos der Begegnung aus – ganz gleich, ob sie schmerzhaft, lustvoll, traurig oder ekstatisch ist… Sie macht es für einen Augenblick, für Stunden, Tage, oder wie im MoMA für viele Wochen. Sie nutzt ihren eigenen Körper als Medium, um Bewusstsein zu verändern.

 

Sie ist in diesem Jahr 70 geworden…
Leidenschaft ist offensichtlich keine Fage des Alters.

(1) Du mußt Dinge tun, die Angst machen, TAZ 9.7.2011 http://www.taz.de/!269905

 

Ein PLädoyer für das gefährliche Denken

Neue Wege beginnen mit neuen Gedanken. Und zwar unmittelbar und direkt – gerade in der jetzigen Zeit. Über das gefährliche Denken spricht kaum jemand so tiefsinnig und umfassend wie Peter Sloterdijk.

Er erinnert mich an die Wirkkraft unseres Bewusstseins – sobald wir die Höhle des eigenen Denkens verlassen. Eine Begegnung kann zu einer bewusstseinsverändernden Erfahrung werden – wenn wir aufhören, sie mit unseren alten Gedanken zu bedenken.

Dies ist schon ein etwas älteres Porträt von Peter Sloterdijk. Ich mag es, weil es so persönlich ist…

Peter Sloterdijk - "Gefährliches Denken" - Porträt

 

 

WIE DAS DENKEN BEWEGLICH WIRD – Ein Tag mit dem Körper in der Natur 06.06.2015

Entdecken Sie die Magie des Denkens. Mit den Wanderschuhen an den Füßen machen wir uns auf in die Natur. Wir folgen dem Wegweiser, der Körper und Denken verbindet, und lassen uns von den vielfältigen Möglichkeiten unseres Bewusstsein überraschen.

Treffpunkt: Düsseldorf Hubbelrath, Restaurant Kaiserhaus, Erkrather Landstr. 82
Kosten: 350 € (zzgl. 19% Mwst.)
Infos: www.sonnos.net