Jeremy Rifkin: Die Empathische Zivilisation

Jeremy Rifkin ist mir dadurch aufgefallen ist, dass er als Amerikaner so viel Augenmerk auf die historische Entwicklung des europäischen Bewusstseins hat, und auf unseren – seiner Meinung nach – wichtigen Beitrag für die globale mitmenschliche Zukunft. Nun ist sein neustes Buch Die empathische Zivilisation erschienen.

Ich habe mich über einige ziemlich polemische Artikel über dieses Buch gewundert, denn ich kenne Rifkin als einen intelligenten und differenzierten Autor.

Schließlich wollte ich es wissen, habe mir das Buch gekauft und es selber gelesen. Als ich einmal mit dem Lesen angefangen hatte, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen.

Rifkin beschreibt auf anschauliche Weise die Reise der Menschen zu einem empathischen Bewusstsein. Seine Sicht auf die menschliche Geschichte und auf die Entwicklung unserer Gefühle hat mich sehr inspiriert.

Hier ein paar Essenzen aus dem Buch:

  • Die Evolutionsgeschichte der Menschen lässt sich als eine Entwicklungs-geschichte der Empathie lesen.
  • Ohne die Entwicklung von Sprache und Schrift wäre Selbst-Bewusstsein und Empathie, wie wir es heute kennen, nicht möglich.
  • Empathie wächst durch Bindung und Beziehung. Sie wird erst durch Introspektion und Selbstreflexion möglich.
  • Das Christentum hat eine große empathische Bewegung ausgelöst.
  • Dass Eltern, Erziehung und Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung von Kinder eine große Rolle spielen, ist eine relativ junge historische Erkenntnis.
  • Um uns empathisch weiterzuentwickeln, brauchen wir neue Wege der Energieversorgung, die Möglichkeit der vernetzten Kommuniktation und ein Bewusstsein für unsere Verbundenheit mit der gesamten Biosphäre.
  • Die empathische Erweiterung unseres Selbst macht immer komplexere gesellschaftliche Interaktionen und Infrastrukturen möglich.
  • Für die Entwicklung von Empathie braucht es verkörperte Erfahrungen. Mit dem Ende des Patriarchats entdecken wir die Bedeutung des Körpers für unsere mitmenschlichen Beziehungserfahrungen.

Ich finde, jeder Berater, jeder Lehrer oder Erzieher, jeder Unternehmer, jeder Politiker, der an unsere emotionale Intelligenz glaubt, sollte dieses Buch lesen.
Erstaunlich, dass es in unserem Land nur so wenig positive Resonanz zu einem Buch über die Geschichte der empathischen Beziehungsfähigkeit gibt.

Sind wir wirklich immer noch nicht so weit?

Kippbilder: Alles hat zwei Seiten

Kennen Sie die Kippbilder? Durch einen anderen Blickwinkel wird eine alte Frau mit Hexengesicht auf einmal zu einer attraktiven jungen Frau. Oder die Drehbilder? Eine alte Frau mit Knollennase wird – auf den Kopf gestellt – zu einer Prinzessin.

Hat man sich erst einmal eingesehen, ist es gar nicht so leicht, seine Sichtweise zu verändern. Es braucht Zeit, einen offenen Geist, entspannte Augenmuskeln und einen weichen Blick. Manchmal braucht es sogar die hilfreichen Tipps von anderen, um das Andere sehen zu können.

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Hinweis: Der Mund der alten Frau ist die Halskette der jungen Frau. Die Nase der alten Frau ist das Kinn der jungen Frau. Das Auge der alten Frau ist das Ohr der jungen Frau.

Bei unseren alltäglichen Beziehungsproblemen ist es genauso: Wir sehen zunächst nur eine Seite – nämlich unsere eigene. Und die halten wir für eine offensichtliche Wahrheit, für objektiv richtig und – im wahrsten Sinne des Wortes – für eindeutig.

In meiner Arbeit mit Paaren erlebe ich immer wieder, wie neue Möglichkeiten entstehen, wenn sich beide – aus Liebe – in die Schuhe des Anderen stellen und die Welt aus seiner Perspektive betrachtet.

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Am Anfang steht oft die Sorge, den eigenen Standpunkt zu verlieren, wenn wir uns auf die Sichtweise des Anderen einlassen… Doch haben wir erst einmal unsere eigene Perspektive auf den Kopf gestellt, kommt das große Staunen: Unterschiede befruchten und verbinden uns –  und durch die Liebe kann aus Reibung Wärme entstehen.

Hier gibt es noch mehr Kippbilder.

Fastenzeit: Sieben Wochen ohne Scheu

Ich war früher sehr aktiv in der katholischen Jugendarbeit. Ich habe Jugendgruppen geleitet, war im Pfarrgemeinderat, bin mit Kindern in Ferien-Camps gefahren und habe mit viel Leidenschaft unsere Gemeinde mit der Kritik und den Forderungen der Friedensbewegung konfrontiert.

In dieser Zeit ist ein tiefes Gefühl für christliche Feste und Rituale in mir gewachsen. Nur mit der Fastenzeit habe ich mich nicht wirklich anfreunden können – mir erschien das Geniessen immer viel schwerer als die Askese.

Vor ein paar Tagen erzählte mir eine Freundin, dass sie zwischen Aschermittwoch und Ostern an einer Fastenaktion der evangelischen Kirche teilnehmen wird. Das Motto: Näher! 7 Woche ohne Scheu. Hier wird der Verzicht auf eine persönliche Masslosigkeit mit der Einladung zu mehr Beziehung und Berührung verbunden. Dieses Sowohl als Auch hat mich sehr angesprochen.

Einer meiner letzten Einträge hieß: Ohne Verzicht wird es nicht gehen. Nun ja – ohne mehr Nähe wird es wohl auch nicht gehen. Hier kommen beide Bewegungen zusammen. Neugierig geworden bin ich nach unserem Gespräch auf die entsprechende Website gegangen. Dort lese ich:

Unsere vernetzte Welt bietet widersprüchlichen Luxus: Kommunikation rund um die Uhr, ohne unbedingt zu wissen, mit wem; Kontakte rund um den Globus, aber nicht mit den eigenen Nachbarn… Will ich den anderen wirklich erreichen, dann ist das immer noch Handarbeit. Gemeinschaft lebt von der Begegnung – von Angesicht zu Angesicht, mit offenem Visier, ohne doppelten Boden.

Die Fastenaktion will Sie ermuntern… zum Wagnis und zum Luxus leibhaftiger Nähe. Sie will Raum schaffen… für ein Streitgespräch, einen Krankenbesuch oder eine überfällige Liebeserklärung. Für alles, was nicht in eine SMS oder E-Mail passt. ‚Näher!‘, lautet unser Lockruf, mit dem wir Sie einladen, Robinson’sche Einsamkeiten aufzugeben, Bündnisse auszuhandeln, Überraschungsbesuche zu machen, eingeschlafene Kontakte aufzuwecken und einander die Freundschaft zu erklären.

Vielleicht haben Sie ja auch Lust für ein paar Wochen auf etwas zu verzichten, was in Ihrem Leben zu viel ist… Und stattdessen jeden Tag mit einem Menschen etwas von dem zu teilen, was fehlt…

Ich bin auf jeden Fall dabei.

Im Relaunch wachsen

Vor 3 Jahren ging diese Seite online. Ich weiß noch genau, wie aufgeregt ich war – und wie mutig mir damals die Idee erschien, einen Podcast in meine Seite zu integrieren.

Inzwischen hat sich im Netz viel bewegt… und in mir ist der Wunsch nach mehr Spielraum gewachsen. Ich habe mich daher entschieden, meine Seite mutltifunktional aufzurüsten, sodass ich sowohl sprechen und schreiben, wie auch fotografieren und filmen kann…

In den nächsten Tagen wird der Relaunch meiner Seite online gehen. Damit ändern sich meine RSS-Feeds. Für alle, die schon jetzt wählen, dass sie auch weiterhin dabei sein wollen, hier die Links:

Beiträge: http://christianewindhausen.de/?feed=rss2
Kommentare: http://christianewindhausen.de/?feed=comments-rss2

Ich freue mich, wenn Sie weiterhin bei mir – so dann und wann – vorbeischauen.

Ich bin Psychologin

Wenn ich neue Menschen kennenlerne, taucht im Gespräch irgendwann immer die Frage auf: „Was machst du eigentlich beruflich?“ Wenn ich dann erzähle, dass ich Psychologie studiert habe, erlebe ich oft: „Oh… dann muss ich ja vorsichtig sein, mit dem was ich sage“. Irgendwie fühlen sich viele Menschen plötzlich ertappt… Die Angst vor Abwertung und Kritik ist in Deutschland so groß, dass ich gelernt habe, die Frage nach meinem Beruf so zu umschiffen, dass der feine neue Kontakt nicht zerbricht.

Nun hat mich eine Freundin nach Kroatien eingeladen. Der Jugoslawienkrieg ist seit 1995 zu Ende. Seitdem ist so viel Zeit vergangen, wie vom Ende des 2. Weltkriegs bis zu meiner Geburt. Damals hatte ich das Gefühl, dieser Krieg sei seit Ewigkeiten vorbei. In Kroatien kann ich auf einmal spüren, wie kurz 14 Jahre sind… Wie traumatischen Kriegserfahrungen in Menschen weiter leben – und wirken.

Jedesmal, wenn ich mich in Kroatien mit meinem Beruf gezeigt habe, habe ich etwas anderes erlebt: Eine 30-jährige Frau erzählt mir, sie würde so gerne zu einer Psychologin gehen, um ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten… Ein 45-jähriger Kroate, der aufgrund seiner traumatischen Erfahrungen als Soldat arbeitsunfähig geworden ist, sagt: „Wir bräuchten mehr Psychologen in unserem Land. Es gibt so viel leidvolle Geschichte… seiner Familie und seine Freunden kann man sie einfach nicht immer zumuten“.

Die Sehnsucht nach Liebe und Freiheit ist größer, als die Scham für die eigene Geschichte. Ich staune, wie deutlich Menschen die Schatten ihrer Geschichte spüren – und wie positiv ihre Resonanz auf die Fähigkeiten einer Psychologin ist.

Was für eine Wohltat für eine Psychologin.
Was für ein guter Anfang für Europa…