Beziehungen im Change-Management

Melanie Conrad arbeitet seit Jahren erfolgreich in der Organisationsentwicklung. Im letzten Jahr hat sie bei Teamact einen Podcast ins Leben gerufen, für den sie immer mal wieder KollegInnen zum Gespräch einlädt. Im März war ich ihr Gast…

Das Interview mit ihr hat mir viel Spaß gemacht. Über das zu sprechen, was mir am Herzen liegt – gerade auch in der gemeinsamen Arbeit mit Birgit-Rita Reifferscheidt bei SONNOS. Und mich dabei dem Fluss anzuvertrauen und den Impulsen zu folgen, die im gemeinsamen Dialog entstehen.

Es ging um den Körper und die Gefühle… Um die Bedeutung von Selbst-Entwicklung und Beziehungs-Entwicklung in der Führung… Um wertvolle Landkarten – und die Macht der kleinen Schritte…

Aber hören Sie selbst – und lassen Sie sich inspirieren.

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Heimat – Im Fremden Zuhause sein

Heute morgen habe ich den Beitrag von Fulbert Steffensky in NDR Kultur gehört: Heimat – ein Haus in der fremden Welt. Überlegungen eines Zugvogels. Sein Essay hat mich tief bewegt.

Die Orte meiner Kindheit waren für mich stets eine vorübergehende Heimat. So etwas wie eine Sprungbrett. Hinein in eine Heimat, die man wählt – sich selber wählen muß. Überall dort, wo man nur sich selbst kennt, leben wir aus dem Leben unserer Vorfahren – und Zukunft ist kaum möglich. Die Prägung der eigenen Familiengeschichte ist einfach zu groß, als dass wir in ihr als Original auftauchen könnten. Ich wußte irgendwie schon damals: Ins Eigenen kommen wir nur durch die Anderen.

Viele aus meiner Generation haben sich im Deutschland der 70ger, 80ger Jahren wie Fremde gefühlt. Viele Anliegen, Fragen, Forderungen, Reflexionen, die wichtig waren, um in unserer eigenen (schmerzlichen) Geschichte beheimatet sein zu können, wurden abgewehrt und bekämpft. Ihnen wurde nicht einmal Asyl gewährt (in Politik, Gesellschaft und Religion). Fremdsein – das war für uns damals die beste aller Heimaten.

 

Heimat war in Deutschland lange ein geschändetes Wort, voller düsterer Erinnerungen und Gefühle. Nun gewinnt dieses Wort eine neue Bedeutung – durch alle, die aus der Fremde kommen, um bei uns eine neue Heimat zu finden.

Man weiß erst, wer man ist, wenn man sich dem Schmerz der Fremdheit aussetzt. Man lernt den eigenen Reichtum erst kennen, wenn man sich mit fremden Lebensentwürfen und Religionen auseinandersetzen muß. Und man lernt den eigene Mangel erst kennen, wenn man auf den Reichtum des Fremden stößt. Wo man nur sich selber kennt, besteht die Gefahr, dass man sich für einzigartig hält. Man kann sich kaum hinterfragen, wenn man die Fremde und das Fremde nicht an sich ranläßt. Man bringt sich um die Freiheit zu wachsen und mehr zu werden als man ist, wenn man sich der Fremdheit der Anderen verweigert.

Mit den Jahren ist durch die Dankbarkeit für meine Wurzeln auch ein emotionales Gefühl für meine Geburtsheimat gewachsen. Heute ist für mich Dankbarkeit eine der wichtigsten Brücken in die Heimat.
Überall dort, wo Dankbarkeit zuhause ist, kann ich zuhause sein.

Selbstwert können wir uns nicht selber geben

Beim Selbstwert scheint es sich um eine wackelige Angelegenheit zu handeln. Jedes Mal, wenn das Leben uns Veränderung zumutet, beginnt er zu wanken. Wieso haben wir eigentlich das Gefühl, weniger wert zu sein, nur weil wir unsicher sind?

Ich habe immer wieder erlebt, wie Veränderungsprozesse mein eigenes Selbstwertgefühl ins Wanken gebracht haben. Sobald es darum ging, etwas Neues zu üben, kam die Scham fürs Nicht-Können. Es fiel mir schwer, um Hilfe zu bitten – oder freundlich mit meinen eigenen Fehlern zu sein. Auf einmal rutschte mein Wert in den Keller – und riss alles mit, was vorher sicher und stabil war. Unser Selbstwert ist ganz offensichtlich eine unsichere Angelegenheit – zumindest solange wir ihn ausschließlich mit unseren Stärken und Leistungen verknüpfen.

Selbermachen ist nicht dir Lösung

Doch was machen wir, wenn der eigene Selbstwert zu wackeln beginnt? Ich habe mich mal im Netz auf die Suche gemacht, und war ziemlich schockiert. Dort findet man Tipps und Ratschlägen wie diese:

Ein gesundes Selbstwertgefühl kann nur von innen kommen. Für unser Selbstwertgefühl sind wir selber zuständig. Wir entscheiden über unseren Selbstwert, indem wir uns für wertvoll oder minderwertig halten. Wir müssen lernen, uns selbst gut zuzureden, uns selbst den Rücken zu stärken und uns selbst zu ermutigen.

Wenn sie ihr geringes Selbstwertgefühl und damit ihr Selbstvertrauen stärken wollen, müssen sie sich selbst einer Art Gehirnwäsche unterziehen. Sie müssen sich gedanklich umdrehen, ihren Selbstzweifel überwinden und sich ein positives Selbstbild aneignen – ungeachtet ihrer Unvollkommenheiten, Schwäche und Fehler.

Die Imperative heißen also: Steigern Sie ihr Selbstwertgefühl! So als wäre die Verbindung zu unserem Selbst eine mathematische Rechnung, die sich über Willen verbessern lässt. Mit anderen Worten: Machen Sie es selber! So als könnten wir unseren Wert selbst bestimmen und allein aus uns schöpfen.

Ich habe bisher niemanden getroffen, der auf diese Weise gelassener, mutiger, souveräner geworden ist. Meine eigenen Versuche in dieser Richtung sind alle kläglich gescheitert. Kein guter Gedanke konnte die tief im Körper verankerte Unsicherheit auflösen. Aus dem Kampf gegen die eigenen Schwächen ist für mich jedes Mal nur noch mehr Anstrengung gewachsen.

Unser Wert wächst im Wir

Wir können uns unseren Wert nicht selber geben – oder einreden. Er entsteht und wächst aus unseren Beziehungen. Das war schon von Anfang an so. Wir wachsen im Beziehungsraum unserer Familie heran. Sie verleiht uns unseren ersten Wert. Selbstwert entsteht also immer in Verbindung mit Anderen. Daher können sich all die Löcher, die auf diesem Weg entstanden sind, auch nur in Beziehung, Begegnung, Austausch mit anderen auflösen.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich – und zwar vor allem durch das beständige Wohlwollen eines anderen Menschen – begriffen habe, dass mein Selbstwertgefühl vor allem eins braucht: Die Offenheit, meine eigene Verletzlichkeit anzunehmen und mich in den wertvollen Beziehungen meines Lebens damit einzubringen. Ein Wert, der nur auf Stärken steht, bleibt einseitig und steht auf wackeligen Beinen. Erst wenn wir unsere Verletzlichkeit in unsere Beziehungen einbringen, kann sich ein Wert entwickeln, der unabhängig von Leistung und Perfektion ist. Es kann doch nicht sein, dass wir uns weniger wert fühlen, nur weil wir uns unsicher fühlen?

Ein echtes Leitbild für den Umgang mit Verletzlichkeit und Scham ist für mich Brene Brown. Ihre Bücher Die Gaben der Unvollkommenheit und Verletzlichkeit macht stark sind für mich echte Mutmacher.

Wer nicht nimmt wird kraftlos.

Das heißt, es braucht zwei Seiten. Einerseits brauchen wir Menschen, für die es eine Stärke ist, sich in den eigenen Schwächen zu zeigen, die Verletzlichkeit wertschätzen und nicht negativ bewerten. Andererseits entscheiden wir, wie tief uns andere berühren dürfen. Wir wählen, ob wir den stärkenden Spiegelungen der Anderen glauben – oder unseren selbst-abwertenden Glaubenssätzen, die aus längst vergangenen Zeiten stammen. Alles Wesentliche wird uns gegeben. Aber wie tief wir es nehmen, ist unsere eigene Wahl und Selbst-Bestimmung.

Du sollst dich selbst unterbrechen

Dorothee Sölle war eine engagierte politische Theologin (1929-2003). Sie war Pazifistin, Antifaschistin und Poetin. Als ich studiert habe, war sie für mich ein mutiges Leitbilder… Ihre Theologie war immer von dem Bewusstsein geprägt, eine Theologie-nach-Ausschwitz zu sein. Theologisches Nachdenken ohne politische Konsequenzen war für sie Heuchelei.

Und doch gehört sie zu denen, die dabei immer liebevoll im Alltag wurzelte. Und Gedichte schrieb, die den Rhythmus meines Herzen verändert haben. Wie dieses zum Beispiel. Die Erinnerung an die bewusst gewählte Musterunterbrechnung trifft für mich das Mark der Zeit.

Du sollst dich selbst unterbrechen

Zwischen Arbeiten und Konsumieren
soll Stille sein und Freude,
dem Gruß des Engels zu lauschen:
Fürchte dich nicht!

Zwischen Aufräumen und Vorbereiten
sollst du es in dir singen hören,
das alte Lied der Sehnsucht:
Maranata, komm, Gott, komm!

Zwischen Wegschaffen und Vorplanen
sollst du dich erinnern an den ersten Schöpfungsmorgen,
deinen und aller Anfang,
als die Sonne aufging ohne Zweck
und du nicht berechnet wurdest
in der Zeit,
die niemandem gehört
außer dem Ewigen.
(Dorothee Sölle)