Sichtweisenwechsel

1969 habe ich die ersten Weltraumbilder gesehen. Apollo 11 war auf dem Mond gelandet, und zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich die Erde von außen sehen  – in ihrer ganzen Schönheit und Zerbrechlichkeit.

Ich war zehn Jahre alt – und ich hatte dieses Gefühl, dass sich meine Sichtweise auf mein Leben von innen nach außen stülpt. Das war ein unglaublich körperliches Gefühl. Ein Schauer lief mir über die Haut und ein Brennen bewegte sich die Wirbelsäule rauf und runter. Für ein paar Augenblicke war ich eins mit den Astronauten – und ihrem Blick auf die Welt.

Etwas in mir hat sich damals wieder an die ‚größere Perspektive‘ erinnert. Ich habe vor dem Fernseher gesessen, mein Herz schlug wie wild – ohne dass ich wusste warum. Bis heute ist es so, dass dieses Weltraumbild von unserer Erde mich an irgendetwas erinnert. Und ich spüre deutlich, wie mich das, was ich nicht so genau erinnere, mich doch bisher sehr genau durch mein Leben geführt hat.

Bis heute ist ein plötzlicher Perspektivenwechsel für mich mit diesem körperlichen Gefühl verbunden. Es ist jedesmal wie ein kleiner Endorphin-Kick. Bei der Auflösung einer begrenzenden Sichtweise setzt unserer Körper ganz offensichtlich Energie frei, die vorher gebunden war… Das Bewusstsein kann sich wieder frei bewegen – zwischen verschiedenen Perspektiven und durch unterschiedliche Zeitebene hindurch.

Damals wollte ich unbedingt Astronautin werden – was bei meinen Defiziten in Mathe und Physik, keine wirklich gute Idee war. Nun ja, ich bin dann schließlich Psychonautin geworden, was – genau betrachtet – gar nicht so weit davon entfernt ist. Und ich habe ein Faible für Science Fiction entwickelt – weil dieses Genre mir immer wieder neue Sichtweisen auf unser Menschsein ermöglicht.

Der Sichtweisenwechsel ist mir in meiner Arbeit bis heute ein großes Anliegen. Neue Perspektiven eröffnen neue Möglichkeiten. In Partnerschaften entstehen Vertrauen und Verbundenheit  dann, wenn wir die Welt auch mit den Augen des Anderen sehen und uns in seine Schuhe stellen können. Mitmenschliche Führung ist erst möglich, wenn wir uns in die Sichtweise des Anderen einfühlen können. Und wir erleben unsere Beziehungen vor allem dann als bereichernd, wenn ein anderer Mensch seine Perspektive auf das Leben mit uns teilen möchte.

Manchmal frage ich mich, ob nicht vielleicht im Sichtweisenwechsel das Glück unserer Zeit liegt.

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