Gerald Hüther: Vier wichtige Erkenntnisse der Gehirnforschung

Erst durch die Entwicklung der Magnetresonanztomografie wurde es möglich, Vorgänge im Gehirn eines lebendigen Menschen sichtbar zu machen. Diese computergestützte Technik hat völlig neue Einsichten in die Funktionsweise unseres Gehirns ermöglicht. Dr. Gerald Hüther benennt in diesem Interview in der Zeitschrift Führung und Organisation vier wichtige Erkenntnisse der Neurowissenschaften:

  1. Das Gehirn bleibt zeitlebens plastisch und formbar. Wir lernen ein Leben lang – und zwar abhängig davon, wie und wofür wir unsere Gehirn nutzen.
  2. Die alte Trennung zwischen Denken und Fühlen, zwischen Körper und Geist existiert nicht. Im Gehirn sind diese Prozesse untrennbar miteinander verbunden.
  3. Die Nachhaltigkeit von negativen emotionalen Erfahrungen ist sehr groß. Abwertungen, Traumatisierungen, Vernachlässigungen sind strukturell tief im Gehirn verankert.
  4. Begeisterung ist der beste Verstärker, den es gibt. Die Begeisterung, mit der wir etwas tun, ist entscheidend dafür, wie erfolgreich wir uns entwickeln und verändern können.

Wie kaum ein anderer engagiert sich Hüther dafür, das die neusten Erkenntnisse der Gehirnforschung umgesetzt werden – in der Führung, in Erziehung und Bildung, im Gesundheitssektor. Seiner Meinung nach haben wir keine Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Das heißt, wir wissen inzwischen sehr genau, was für eine gesunde und mitmenschliche Zukunft wichtig ist. Nun geht es darum, auch ein anderes Verhalten einzuüben.

Die Bundesregierung hat nun mit dem Zukunftsdialog eine Plattform geschaffen, auf der Experten und Bürger miteinander über die Zukunft Deutschlands sprechen. Dabei sollen wegweisende und praktisch umsetzbare Ansätze zu den Fragen herausgearbeitet werden: Wie wollen wir zusammenleben? Wovon wollen wir leben? Wie wollen wir lernen? Dr. Gerald Hüther ist einer der Kernexperten, die das Thema Lernen betreuen. Sie finden ihn auch auf Facebook.

Inspiration kommt von vorne

Ich bin ein Kind der 50ger und 60 Jahre. Meine Generation hat ihren Platz in der Welt als ein innerer Gegenentwurf zur ängstlichen Unterwerfung der Eltern an ein totalitäres Regime formuliert.

Selbst-Erfahrung war der Beitrag unserer Generation zum Lauf der Geschichte… In allen Varianten der Selbst-Erfahrung fanden wir Sinn und Erfüllung. Sie waren – als Erforschung des inneren Reiches – zunächst einmal ungefährlich und unpolitisch. Mit ihr haben wir uns einen unvergessenen Platz erworben… sind wir einzigartig, aber auch besonders narzisstisch geworden…

Wenn ich heute mit jungen Erwachsenen (20-30) darüber spreche, wofür sie der Generation ihre Eltern dankbar sind, dann erwähnen sie immer wieder, die Positionierung von Psychologie + Selbst-Erfahrung in der Gesellschaft. Im 21. Jhd. ist unsere Innenwelt zu einer gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit geworden… Für die neuen Generationen liegt die Chancen des Lebens nicht mehr Innen, sondern Vorne – in der Zukunft, in unseren ungenutzten Fähigkeiten und nicht kombinierten Potentialen. Für die uns nachfolgenden Generationen ist alltagslose Selbst-Erfahrung altbacken, langweilig, esoterisch und unrelevant. Sie suchen Wege ins einfachen Handeln und praktischen Wirken.

Für unsere Zukunftfähigkeit wird es immer wichtiger, endlich über die Wiederaufbau- oder Trümmer-Generation (40ger und 50ger) und die Gründer-Generation (60ger)hinauszuwachsen und sich mit den nachfolgenden (70ger, 80ger und 90ger) und der zukünftigen Generationen (20ger und 21ger) zu verbinden.

Viele Generationen sind uns unbeachtet vorausgegangen und warten darauf, mit ihren persönlichen Erfahrungen gewürdigt zu werden. Nach mir sind bereits einige Generationen unbeachtet nachgekommen und warten darauf, dass wir die gemeinsamen Chancen nutzen…

Inspiration und Befruchtung kommen immer aus der Zukunft. Fangen wir an?