Die Wucht der Welle

Die Wucht der existenziellen Welle hat mich in die Zeitlosigkeit katapultiert. Ich bin welt-scheu geworden – die banalsten Eindrücke des weltlichen Alltags befremden mich. Ich habe alte Hüllen verloren und fühle mich nackt und pur – mitten im Geschehen.

Irgendwie sind die Welten zusammengefallen und in mich hinein implodiert… oder vielleicht habe ich mich auch einfach in die Welt hinein aufgelöst. Auf jeden Fall gibt es keinen Unterschied mehr: Ob ich meine kleine sichere Welt hier fühle – mit den vielen Menschen, die ihre Liebe in Fürsorge zum Ausdruck bringen – oder ob ich im Fernsehen die Welt und die Not ‚der Anderen dort drüben‘ erlebe… alles ist mir gleich nah. Jedes einzelne menschliche Schicksal der Welle ist meines geworden.

Ich weiß nicht, wie es sich damit leben lässt… oder ob es wieder weg geht… oder ob die Welle gerade darin ihren Sinn findet. Doch ich weiß, dass ich bereits seit einiger Zeit freiwillig geübt habe, dem Nicht-Wissen zu vertrauen – als hätte ich nicht-wissend ‚gewußt‘, dass es Zeit ist sich vorzubereiten.

Das Geschenk der Zeit

Ich habe mich Ende Mai entschieden, einen Tag in der Woche in meinem Kalender zu markieren: hier gibt es keine Termine, keine Aufgaben. Dieser Tag ist ein Tag, den ich ganz der Zeit schenke. An diesem Tag geschieht nichts nach Plan. Ich folge meinen Impulsen und der Spur der Lust… Für eine Frau wie mich, die sich durch das unentwegte Funktionieren einen Platz in der Welt gesichert hat, ist das ein Quantum Sprung.

Warum diese Wahl? Ich weiss, dass bestimmte Einsichten, Ideen und Inspiration nur im Seinsfeld der Zeit auftauchen können. Ich spüre, dass die eigene intuitive Spur aus einem Raum von Nicht-Einmischung entspringt. Jedes Müssen und Sollen ist wie eine Gegen-Gift für diesen Aspekt meines Lebens. Ich glaube, die Sehnsucht wächst, mich pur zu leben – unabhängig von eingespielten und sicheren Abläufen.

Ich erlebe mit dieser Entscheidung ein unsagbares Glück in den Zwischen-Räumen der Zeit. Ich erfahre, dass manche Gaben nur die Zeit bringt. Freundschaft – zum Beispiel – gedeiht nur im Reich der geteilten Zeit. Beziehung und Partnerschaft gelingen organisch und leicht, wenn wir genügend Zeit mit einander verbringen.

Es braucht wohl eine erschütternde Erfahrung der Vergänglichkeit, um die Zeit, die wir mit einem Menschen teilen, wirklich würdigen und schätzen zu können. Erst dann bin ich im Augenblick angekommen.

Ich danke meinem Vater für diese Erfahrung der Vergänglichkeit – und für die Kraft seines Herzens.