Ein Tisch und seine Geschichte

In dem Hotel auf Sri Lanka, in das wir immer mal wieder zur Ayurvedakur fahren, stand früher im Foyer ein großer Tisch aus schwarzem Holz. All abendlich haben sich um diesen Tisch Gäste getroffen, sich gegenseitig inspiriert und zum Staunen gebracht. Als der Tsunamie kam, hat er ihn einfach mitgenommen…

Nun waren wir wieder dort und haben an der gleichen Stelle einen neuen Tisch entdeckt. Ein Schreiner aus dem Hotel war nach dem Tsunamie losgezogen und hatte in den Trümmern nach Bruchstücken gesucht. Er fand elf verschiedene Hölzer und hat in liebevoller Arbeit  einen neuen Tisch gebaut.

Als die Eigentümerin des Hotels uns die Geschichte erzählt, bin ich sprachlos. Ein runder Tisch aus Tsunamie-Trümmern – was für ein Sinnbild für eine gelungene Transformation. Wir können aus Katastrophen neue Möglichkeiten kreieren – und Brüchen wieder zu etwas Ganzem zusammenfügen.

Wenn wir abends um den Tisch sassen, wurde immer mal wieder seine Geschichte erzählt. Kurze Zeit später waren alle in intensiven Gesprächen versunken. Jeder von uns hatte Krisen, Brüchen und Schicksalsschläge erlebt. Und auf irgendeine Weise hatte jeder einen Weg gefunden, aus schmerzlichen Erfahrungen eine lebendige Zukunft für sich und seine Familie wachsen zu lassen… Es waren spannende Abende – voller berührender Geschichten und ermutigender Begegnungen. Anschließend bin ich jedesmal beseelt und dankbar ins Bett gesunken.

Manchmal habe ich dann vor dem Einschlafen gedacht: Ob die Tiefe dieser Geschichten vielleicht aus dem Tisch entsprungen ist?

Sich vergessen – und mich wieder erinnern

Am Ende eines vollen Jahres bin ich zum Jahreswechsel für drei Wochen nach Sri Lanka gefahren. Ich wollte am 26.12. dort sein, wo wir 2004 den Tsunmai erlebt haben. Mich hat es zu dem Ort hingezogen, an dem mir das Leben ein zweites Mal geschenkt worden ist. Ich wollte mich erinnern…

An Sri Lankas Westküste kam der Tsunami in drei großen Wellen, was uns die Möglichkeit gab, ins Landesinnere zu fliehen. Als uns die zweite Welle erwischte, hat uns ein junger Singhalese aus dem reißenden Strom hoch auf eine Mauer gezogen und uns von dort auf einen Mangobaum geholfen. Dort haben wir gewartet, bis das Wasser sich wieder beruhigt hatte und sind dann mit vielen anderen Menschen zu einem großen Buddha geflohen, der zum Tempel auf einem Berg gehörte.

Am 26.12. sind wir den Weg noch einmal abgegangen, auf den uns die Welle damals mitgenommen hat. Die Mauer ist inzwischen bewachsen, hinter ihr wird gebaut – ein Zeichen von Wachstum und Veränderuung. Der Buddha, der 2004 noch im Bau war, ist inzwischen fertiggestellt und erhebt sich weit sichtbar über das Land. Überall haben wir Menschen getroffen, die damals mit uns in der Welle waren. Wir haben zusammen gelacht und geweint. Alles war auf einmal wieder so nah… Unseren damaligen Schutzengel haben wir auch wiedergetrofffen. Er arbeitet inzwischen am Tempel und ist dort einer der Hüter der Elefanten.

Hier entsteht überall Neues, das Leben pulsiert. Auch in unserem Leben ist nach der Welle viel in Bewegung gekommen. So haben wir zum Beispiel SONNOS danach noch einmal neu ausgerichtet… und im letzten Jahr ist unser Buch erschienen.

Einen Tag lang sind wir den Spuren unser Erinnerung gefolgt. Mit jeder Etappe auf dem Weg wurde mir deutlicher, wie sehr ich mich im letzten Jahr im Funktionieren und Abarbeiten selber vergessen hatte. Ich war entsetzt, wie sehr dabei der Kontakt zu meinem Körper verloren gegangen ist – und damit auch die Quelle meiner Kreativität und Lebendigkeit. So deutlich zu spüren, wie sehr ich gelernt habe, unter Stress mich selber abzuschalten und auf Funktionieren umzuschalten, ist immer noch eine schmerzliche und sehr schamvolle Erkenntnis.

 

Doch sich wieder erinnern zu können, ist ein wahrer Segen. Damals schenkte mir die Welle ein Gefühl für den tiefen Sinn meines Lebens. Dieses Mal schenkte mir die Mauer den Weg zurück in meinen Körper – und in die pure Freude darüber, am Leben zu sein und bis in jede Zelle lebendig. Manchmal müssen wir innere Mauern einreißen (und mit alten Konditionierungen brechen), damit dieser Strom des Lebens ungehindert durch uns fliessen und wirken kann.

So widme ich dieses Jahr der Selbstliebe. Auf das mir mein Körper unvergesslich bleibt…

Ein Jahr nach der Welle

Es ist ein Jahr her, dass uns auf Sri Lanka die große Welle eingeholt hat… Wir sind wieder hier. Ich wollte wissen, wie die Menschen heute leben, die uns damals geholfen haben… Spüren, wie das Wasser sie verändert hat… Am Meer stehen und mich erinnern… Bis wohin hat mich die Welle getragen?

Diese Welle hat jeden mit seinem Schicksal konfrontiert – für mich war sie ein großes Geschenk. Eine Initiation in die Dankbarkeit. Mit ihr hat meine ewige Frage nach dem Sinn endlich aufgehört. Als das Echo der Welle langsam in mir verebbte, wußte ich: Wer das Geschenkte ganz nimmt, kann sich auch ganz geben.

Und Geben beginnt mit Aufgeben – heillose Angewohnheit freiwillig aufgeben. Wir versammeln im Laufe des Lebens viel Erfahrungen in uns. Leider vergessen wir sie mit der Zeit wieder loszulassen – und sie werden zu Schwermut statt zu Flügeln.

So habe ich aufgehört – mit dem Leben zu hadern und mich mit ständigen Selbstzweifeln an alten Wertlosigkeiten festzuhalten. Und ich habe an Kraft, Sichtbarkeit und Sprache gewonnen. Ich hatte mich so lange ins Andere gegeben – es ist eine Wohltat nach Hause zu kommen.

Wie es sich wohl lebt, wenn man sich nie die Frage stellen mußte: Wer bin ich? Und wozu bin ich hier?

Im Nehmen geschieht Loslassen

Mit den inneren Löchern im Selbstwert ist das so eine Sache: Überall dort, wo ich in meinem Wesen nicht genommen worden bin, sind resistente Formen der Wertlosigkeit gewachsen. Ganz gleich was ich tue, um mich meines Wertes zu vergewissern – sie schmerzen und bezweifeln.

Ich habe erlebt, dass ich eine Flutwelle brauche, um die Tiefenschichten meines löchrigen Wertes endlich aufzulösen. Jetzt weiß ich, dass große existenzielle Erfahrungen dazu bestimmt sind, tiefe existenzielle Wunden zu erlösen. So hat sich die Welle für mich als unbeschreibliches Geschenk erwiesen. Sie hat mir gezeigt was möglich ist, wenn ich die Welle (in mir) dorthin nehme, wo meine Löcher sind: Größer kann das Zeichen – dass ich gemeint und wichtig bin – nicht sein… warum also nicht aufhören zu hadern? Sie hat mich gelehrt: Wer nicht nimmt, kann sich nicht verändern. Er kann mit den heilsamen Erfahrungen seine Kompensationen ausschmücken – über löchrigem Grund. Doch erst im NEHMEN geschieht Loslassen.

Leider haben wir das NEHMEN in Deutschland so gut wie gar nicht entwickelt. Wir wollen lieber Geben – und es vor allen Dinge alleine schaffen. NEHMEN liegt bei uns im Entwicklungsland der inneren 4. Welt. So sammeln wir Erfahrungen und leben Beziehungen, die wir nicht wirklich NEHMEN… und die uns im GRUND nicht verwandeln können.

Im Augenblick erlebe ich Deutschland als ein Land, das besessen ist von Effektivität und dennoch eine Verschwendung von Erfahrungen praktiziert, die mich zutiefst schockiert.

Wirkliche Effektivität entspringt aus der Kraft des NEHMENS.
Mögen alle, die der Welle begegnet sind, das Geschenk erkennnen, dass sie ihnen mitten ins Herz hinein zugemutet hat.

Die Wucht der Welle

Die Wucht der existenziellen Welle hat mich in die Zeitlosigkeit katapultiert. Ich bin welt-scheu geworden – die banalsten Eindrücke des weltlichen Alltags befremden mich. Ich habe alte Hüllen verloren und fühle mich nackt und pur – mitten im Geschehen.

Irgendwie sind die Welten zusammengefallen und in mich hinein implodiert… oder vielleicht habe ich mich auch einfach in die Welt hinein aufgelöst. Auf jeden Fall gibt es keinen Unterschied mehr: Ob ich meine kleine sichere Welt hier fühle – mit den vielen Menschen, die ihre Liebe in Fürsorge zum Ausdruck bringen – oder ob ich im Fernsehen die Welt und die Not ‚der Anderen dort drüben‘ erlebe… alles ist mir gleich nah. Jedes einzelne menschliche Schicksal der Welle ist meines geworden.

Ich weiß nicht, wie es sich damit leben lässt… oder ob es wieder weg geht… oder ob die Welle gerade darin ihren Sinn findet. Doch ich weiß, dass ich bereits seit einiger Zeit freiwillig geübt habe, dem Nicht-Wissen zu vertrauen – als hätte ich nicht-wissend ‚gewußt‘, dass es Zeit ist sich vorzubereiten.