Trotz umfassender Vorbereitung war dann natürlich alles anders als ich es befürchtet habe. Das Leben findet nun mal außerhalb unserer Vorstellung statt… So waren meine Ängste vor allem im Vorfeld real – sie dienten der gründlichen Vorbereitung.
Dennoch war meine Reise nach Tibet eine Reise ins Neuland. Dazu hatte ich mir Wulf als Fährmann gewählt.
Auf der Grundlage meinen eigenen Erfahrungen, wäre meine Pilgerreise wohl lebensgefährlich verlaufen… Ich kannte die Höhenkrankheit nicht… Ich hätte meine Erfahrungen aus dem Flussland (Düsseldorf liegt 50 Höhenmeter über NN) auf die Welt in der Höhe übertragen… Ich hätte mich mit meinen Ansprüchen in Lebensgefahr gebracht… Ich hätte dort geruht und geschlafen, wo es existenziell notwendig ist, in Bewegung zu bleiben… Ich hätte meinen Körper maßlos überfordert, weil wir Flussländer den gesunden Rhythmuswechsel des Körpers nicht mehr kennen…
Wir machen im Neuland immer Fehler: Wir übertragen altbekannte Vorstellungen auf ungewohnte Situation. Da unsere Sichtweisen wie Wahrnehmungsfilter wirken – können wir nicht mehr erkennen, dass das Leben uns gerade neue Möglichkeiten schenkt. Stattdessen reproduzieren wir mitten im Neuen das Alte – und machen damit wieder einmal die gleichen Erfahrungen.
Wulf konnte ich vorbehaltlos vertrauen, weil ich wusste, dass er um seine eigenen Grenzen weiß. Er hat mit Dawa von Asian Trekking für einen zusätzlichen Fährmann gesorgt. Wulf und Dawa waren eine bemerkenswerte Kombination: Der eine kannte sich aus mit den Eigenarten der Europäer, der andere war vertraut mit den Eigenarten der Nepalesen, Tibeter und Chinesen. Wir haben ihnen von Tag zu Tag mehr vertraut, weil jeder von ihnen seine Verantwortung ganz genommen und geteilt haben.
Im Neuland brauchen wir immer einen Fährmann – jemand, der sich dort auskennt, wo wir noch nicht waren. Nur wer sich führen lassen kann, kann etwas Neues erleben.