Das Jahrhundert der Frauen

Immer mal wieder gibt es eine Dokumentation, die mich zutiefst bewegen. Diese ist eine davon. Inzwischen haben ich mir ‚Das Jahrhundert der Frauen‘ mehrmals angesehen: Die Dokumentation vermittelt sehr fühlbar, wie unser Verhalten von historischen Bedingungen beeinflusst ist, und sie stärkt unsere weiblichen Wurzeln.

Mir sind immer wieder meine Großeltern und Eltern begegnet. Auch meine Nichten und Patentöchter kamen vorbei. Und die Mentees und jungen weiblichen Führungslkräfte, die ich begleite. Manche von ihnen kommen aus Ostdeutschland, manche aus dem Westen. Das Weiblichen lebt in ihnen auf sehr unterschiedliche Weise…

Ich finde, jede Frau sollte sich diese Dokumentation anschauen. Für die Gestaltung unserer Zukunft ist es – sowohl für Frauen, wie auch für Männer – wichtig, um die weibliche Seite der Geschichte wissen. Damit lässt sich so manche persönliche Erfahrung an den richtigen Platz rücken…

Frauen im Kaiserreich und der Weimarer Republik

Kaiserreich und Weimarer Republik - Das Jahrhundert der Frauen - Teil 1

Frauen dürfen nur mit Erlaubnis der Männer arbeiten. Es ging darum ‚eine gute Partie‘ zu machen. Es gab große Unterschiede zwischen Bürgerfrauen, Arbeiterfrauen, Nonnen. Was sie bei allen Unterschieden gemeinsam hatten, war das, was sie nicht durften: nicht wählen, nicht gewählt werden, nicht in einer Partei sein, nicht über ein eigenes Vermögen verfügen. Bildung war in Preußen für Frauen nur in soweit vorgesehen, dass der Mann sich nicht langeweilte. Privilegierten Frauen wurden vorbereitet auf Mutterschaft, Kindererziehung, Handarbeit und Ehefrau. Bildung für Arbeiterinnen gab es nicht. 1914 wurde die Waschmaschine erfunden, aber die konnten sich nur wenige leisten. Hausarbeit war körperlich sehr anstrengend.

Frauen in der NS-Zeit und im 2. Weltkrieg

NS Zeit und Zweiter Weltkrieg - Das Jahrhundert der Frauen - Teil 1

Für die Emanzipation war der Nationalsozialismus ein Schlag ins Gesicht – der kriegerische Mann kam wieder nach vorne. Der BDM war für viele Frauen eine Befreiung aus dem männerdominierten Kreis der Familie (Brüder, Vater). Viele Frauen haben Hitler wie einen Popstar gefeiert. Hitler gab ihnen ein Gefühl von Wichtigkeit und Bedeutung. Die Mitarbeit der Frauen in der Politik war nicht erwünscht. Für Hitler sollten sich Frauen vor allem durch Treue, Pflichtbewusstsein, Opferbereitschaft, Selbstlosigkeit, Leidensfähigkeit auszeichnen. Muttersein wurde belohnt – sie sollte möglichst viele arische Kinder bekommen. Als der Krieg begann wurden Frauen so eingesetzt, wie es dem Krieg diente.

Nachkriegszeit und geteiltes Deutschland

Nachkriegszeit und geteiltes Deutschland - Das Jahrhundert der Frauen - Teil 1

Nach dem Krieg waren Frauen die Managerinnen des Alltags. Männer waren desorientiert und traumatisiert. Der Wiederaufbau war Frauensache. Politische Wahlen bleiben männerdominiert. Die Blütezeit der Kernfamilie bricht an. Das Wirtschaftswunder braucht die Frau als Arbeitskraft, die Teilzeitarbeit wurde erfunden. Frauen sind in BRD und DDR formal gleichberechtigt. Arbeit ist nach Lenin ein Grundrecht der Menschen. Wirtschaftlich waren Frauen DDR den Männern gleichgestellt, Aufstieg gab es auch für sie nicht. Die Pille (1961): ohne sie wären die wilden 60ger nicht möglich gewesen. Sie durfte zunächst nur mit Erlaubnis der Männer vergeben werden. Das Rollenbild beginnt sich erneut zu verändern: Freie Liebe, Minirock, § 218 und Rock ’n‘ Roll. Studentenbewegung, Kommune 1, Frauenbewegung. DDR wollte moderner sein als der Westen: Emanzipation wurde verordnet, Abtreibung war legal. Es gab Zwangsadoptionen, mit denen Eltern erpresst wurden, die systemkritisch waren.

Von der Wende bis heute

Von der Wende bis heute - Das Jahrhundert der Frauen - Teil 1

Emanzipation (Entlassung in die Eigenständigkeit) wird immer noch als Reizwort verstanden. Männer wollen Väter sein, 1/5 nehmen Elternzeit. Jede zweite Alleinerziehende lebt von Harz IV. Zu wenig Teilzeitstellen, zu wenig Kinderbetreuung. Frauen in Führungspositionen sind noch kein Rollenmodel. 1/3 im Bundestag sind Frauen, Wegbereiter dafür waren die Grünen. Angela Merkel gilt als die mächtigste Frau der Welt. Immer weniger Paare bekommen Kinder. Immer noch kein gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Schönheits-OPs: Frauen sind bereit ihre Gesundheit und körperliche Identität einem Ideal zu opfern. Muslimische Frauen: Schönheit in der Öffentlichkeit zu zeigen, ist ihnen fremd. Ehrenmorde: Es geht nicht um Ehre, sondern um die Macht in der Familie und um archaische Bedürfnisse von Männer. Das Kopftuch als Widerstand gegen den Imperialismus des Westens.

Sicherlich, hier bleibt immer noch Vieles ungesagt – über die Frauenbewegung, über die Frauen im Widerstand, die Frau in der DDR, über das Frauenbild in den neuen sozialen Bewegungen… Und doch: Die Doku regt zum Selberdenken an, zum Nachfragen. Zu einem Gespräch mit jüngeren oder älteren Frauen.

Erst durchs Fragen, Hören und Teilen wird aus unseren Erfahrungen schließlich eine lebendige Geschichte…

 

Jeremy Rifkin: Die Empathische Zivilisation

Jeremy Rifkin ist mir dadurch aufgefallen ist, dass er als Amerikaner so viel Augenmerk auf die historische Entwicklung des europäischen Bewusstseins hat, und auf unseren – seiner Meinung nach – wichtigen Beitrag für die globale mitmenschliche Zukunft. Nun ist sein neustes Buch Die empathische Zivilisation erschienen.

Ich habe mich über einige ziemlich polemische Artikel über dieses Buch gewundert, denn ich kenne Rifkin als einen intelligenten und differenzierten Autor.

Schließlich wollte ich es wissen, habe mir das Buch gekauft und es selber gelesen. Als ich einmal mit dem Lesen angefangen hatte, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen.

Rifkin beschreibt auf anschauliche Weise die Reise der Menschen zu einem empathischen Bewusstsein. Seine Sicht auf die menschliche Geschichte und auf die Entwicklung unserer Gefühle hat mich sehr inspiriert.

Hier ein paar Essenzen aus dem Buch:

  • Die Evolutionsgeschichte der Menschen lässt sich als eine Entwicklungs-geschichte der Empathie lesen.
  • Ohne die Entwicklung von Sprache und Schrift wäre Selbst-Bewusstsein und Empathie, wie wir es heute kennen, nicht möglich.
  • Empathie wächst durch Bindung und Beziehung. Sie wird erst durch Introspektion und Selbstreflexion möglich.
  • Das Christentum hat eine große empathische Bewegung ausgelöst.
  • Dass Eltern, Erziehung und Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung von Kinder eine große Rolle spielen, ist eine relativ junge historische Erkenntnis.
  • Um uns empathisch weiterzuentwickeln, brauchen wir neue Wege der Energieversorgung, die Möglichkeit der vernetzten Kommuniktation und ein Bewusstsein für unsere Verbundenheit mit der gesamten Biosphäre.
  • Die empathische Erweiterung unseres Selbst macht immer komplexere gesellschaftliche Interaktionen und Infrastrukturen möglich.
  • Für die Entwicklung von Empathie braucht es verkörperte Erfahrungen. Mit dem Ende des Patriarchats entdecken wir die Bedeutung des Körpers für unsere mitmenschlichen Beziehungserfahrungen.

Ich finde, jeder Berater, jeder Lehrer oder Erzieher, jeder Unternehmer, jeder Politiker, der an unsere emotionale Intelligenz glaubt, sollte dieses Buch lesen.
Erstaunlich, dass es in unserem Land nur so wenig positive Resonanz zu einem Buch über die Geschichte der empathischen Beziehungsfähigkeit gibt.

Sind wir wirklich immer noch nicht so weit?

Tibet 10: Ich komme aus dem Flussland

Am nächsten Morgen werde ich mit der Erkenntnis wach: Ich gehöre hier oben nicht hin. Ich komme aus dem Flussland…

Darin liegt keine Unzufriedenheit, kein Hader, keine Klage. Es ist ganz einfach eine Einsicht in den Sinn meines eigenen Lebens.

So langsam wächst in mir der Stolz auf das Erbe meiner Vorfahren. Unsere deutsche Geschichte hat uns dazu gezwungen, uns mit der Schuld der Täterschaft auseinanderzusetzen…

Wir haben ein nahezu perfektes Programm zur Auslöschung des Fremden entwickelt… Der Genozid scheint zu einer Phase der Menschheitsentwick-
lung dazu zu gehören. Wir finden ihn überall: in den USA (Indianer), in Australien (Aboriginis), in Europa (Juden), in Asien (z.B. Tibeter)… Mitmenschlichkeit wächst aus unserem Schatten. Erst die eigenen dunklen Seiten lehren uns das Mitgefühl mit den Anderen.

Es gibt nicht viele Völker auf dieser Erde, die ihre eigene Schatten-Geschichte so eingestehen mussten wie wir. So ist aus einer faschistischen Haltung eine kooperative geworden, aus Ausgrenzung das Bemühen um Integration. Aus Kontrolle wird Herzkraft, aus Funktion wird Authentizität. Auch wenn wir noch nicht angekommen sind – wir sind auf dem Weg – langsam, Schritt für Schritt.

Zu Hause angekommen, habe ich zunächst das Gefühl, viel zu langsam für meinen Alltag zu sein… Auch wenn ich inzwischen wieder ganz gelandet bin, etwas ist ‚anders’ geblieben: Ein innerer Abstand zu den Dingen der Welt… Ein gelassener Blick – vom Dach der Welt – auf die Konflikte des Lebens… Ein tiefes Wissen darum, dass jede Erfahrung, die wir machen, ihre Wurzeln in unserer Geschichte hat – sowohl persönlich als auch historisch.

Es gibt immer eine Archäologie des Augenblicks. Und ich erkenne meinen Platz in der Geschichte.

Danke, dass ihr 10 Tage mit mir gegangen seit…

Wenn Großväter sprechen

Walter Holzer ist über 80 und erzählt in seinem Blog immer mal wieder aus seinen Erfahrungen im 2. Weltkrieg. Ich sitze jedes Mal gebannt vor dem Bildschirm… Seine Worte berühren mich tief.

Mein Großvater wurde 1911 geboren. Er war – Gott sei Dank – nie ein Soldat. Mein Großvater hat immer erzählt: Wenn er eingezogen worden wäre und Menschen hätte töten müssen, hätte er sich umgebracht. Doch das Leben war gnädig mit ihm: seine Fähigkeiten wurden in der Waffen-Industrie gebraucht.

Er war der uneheliche Sohn eines Gutsherren-Sohns und einer Magd. Er war ein Schande, ein Makel und wuchs wie ein Stück Vieh bei den Schweinen auf. Er war ein Casper Hauser. Aus ihm ist ein stiller Pazifist geworden. Das Leben mit den Menschen hat er nie gelernt und nie geschätzt. Er blieb menschenscheu. Erst seine Frau hat ihm den Weg in die Welt gezeigt. Erst mit seinen Urenkeln hat er das Lieben gelernt.

Am Ende seines Lebens verlor er erst seine Sprache und dann sein Gedächtnis. Er hat mir manchmal davon erzählt, wie er nachts von alten Erinnerungen heimgesucht wurde, obwohl er sich geschworen hatte, sie zu vergessen. Am Ende musste er die Ängste und die Verlorenheit seiner Kindheit noch einmal durchleiden – weil er sie zu Lebzeiten nicht teilen konnte.

In dir Walter erlebe ich einen Großvater, der sich erinnern will.
Ich liebe alle deine Gedanken, weil sie immer aus Geschichte gewoben sind… Danke dass du teilst, was dich bewegt.

Deine Worte segnen das Leben meines sprachlosen Großvaters und geben ihm einen Sinn.