Der Zauber des Anfangs

Gestern war mein Vater am Telefon und teilte mir mit: ‚Ich habe gerade einen Satz von Meister Eckehart (Mystiker aus dem 13. Jhd.) gelesen. Ich glaube er war für dich bestimmt:

Und plötzlich weißt du, es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen und dem Zauber des Anfangs zu genießen.

Woher wusste er von den unsichtbaren Bewegungen meines Lebens…? Woraus entspringt auf einmal die vorbehaltlose Ausdruckskraft seiner persönlichen Herzkraft? Wie kommt er zu diesem unvermittelten Mut sich ganz zuzumuten und zu schenken…?

Vielleicht ist es so: Wenn wir mit unserem Eigen-Willen aus dem Weg gehen, beginnt die Liebe zu fliessen – ganz einfach.

Eltern sind schon wundersame Geschenke… Sie kommen so unverhofft mit ihrer Liebe vorbei… Sie treffen uns immer.

Wir erben immer – die unerledigten Geschichten

Sie sagen über uns, wir seien die Generation der Erben. Niemals zuvor wurde so viel vererbt wie heute. Wir denken dabei an den Segen eines unverdienten Vermögens, wir hoffen vielleicht auf eine finanzielle Entschädigung für vergessene Anerkennung. Wir bedenken nicht, dass wir immer auch die gesamte Lebensgeschichte unserer Eltern erben – mit ihren Stärken, Schwächen und ungelebten Möglichkeiten.

In der Illusion, dass das, was ignoriert wird, nicht wirkt, haben unsere Eltern die Schatten ihrer Vergangenheit in die Herzen der nächsten Generation verschoben. In der fatalen Hoffnung auf Vergessen (aus Liebe) vererben sie ihre Angst- und Schuldgefühle, ihre Tabus und faulen Kompromisse. Dabei heißt Lieben: die Angst vor der Wahrheit verlieren, aus Fehlern lernen – ganz gleich ob es deiner, meiner, ihrer oder unserer war – und menschliches Versagen in Mitgefühl zu wandeln.

Durch Ignoranz gegenüber unseren Gefühlen sind wir eine Generation ohne Zukunft geworden. Wenn wir bereit sind, das ungelebte Erbe unserer Eltern anzutreten, können wir vielleicht ihre unerledigten Geschichten in unserem eigenen Lieben erlösen. Und dann – mit ihnen im Rücken – einen Weg in eine mitmenschliche Zukunft finden.

Väterliche Herzkraft

Gerade habe ich die Nachricht bekommen, dass mein Vater in einigen Tagen an seinem Herzen operiert wird. Im Augenblick habe ich mehr Angst als er. Er ist einfach nur erleichtert, dass es eine Lösung zu geben scheint, für einen Leidensweg, der für ihn nun schon 1 Jahr dauert.

Ich aber spüre meine Liebe zu ihm. Ich erinnere mich an sein großes Herz, das sich nie so recht entfalten konnte. Ich erinnere mich an all die Male, in denen er seinen Wunsch nach Intensität und Leidenschaft nur als sportliche Leistung erleben konnte.

Und ich wünschte mir von Herzen, dass ich ihm etwas von meiner Herzkraft schenken könnte. Ich weiß, dass der Weg vom Ich zum Wir kein leichter ist. Wer ihn nicht freiwillig geht, den fordert das Leben heraus… und zwar dann, wenn wir hilflos sind und nicht anders können als – vertrauen.

Möge dein Herz dich durch diese Erfahrung mit der Kraft tragen, die es für mich immer hatte. Ich liebe dich.