Den eigenen Rhythmus entdecken

In dem noch jungen Daimler Blog schreibt Mario Jung über seine Arbeit in der Dauernachtschicht bei Daimler. Er hat gewählt, nur nachts zu arbeiten, morgens um 6 wieder nach Hause zu kommen, bis 14 Uhr zu schlafen und dann den Tag zu genießen, bis er abends gegen 10 wieder zur Arbeit geht.

Meine Schwester Astrid und ihr Mann haben die gleiche Wahl getroffen. Früher kam Thomas erst gegen 18 nach Hause. Kurze Zeit später mussten die Kinder schon ins Bett. Heute hat er den ganzen Nachmittag und Abend Zeit für seine Familie Zeit. Diese familienfreundliche Arbeitszeit genießen inzwischen alle. Und Thomas bleibt der permanente Übergang in eine andere Schicht erspart, der für seinen Körper sehr anstrengend war.

Es ist gut, wenn wir unseren Arbeitsrhythmus selber wählen können.

Arbeiter und Angestellter haben nur selten diese Möglichkeit. Doch wer als Selbständiger arbeitet, muss seinen eigenen Rhythmus finden, weil er jeden Tag über seine Zeit selber entscheidet. Das ist nicht einfach.

Auf dem Weg zu meinem Rhythmus bin ich als erstes meinen Ansprüchen begegnet und dann meinen Schuldgefühlen. Ich habe entdeckt, wie oft ich in meinem Leben auf Körperimpulse, emotionale Bedürfnisse, Wünsche und Träume verzichtet habe… Ich habe viel ausprobiert, um herauszufinden, was mir gut tut. Eine richtig gute Idee war dabei meine Einführung der Gelben Tage. Sie haben mir gezeigt, dass meine Kraft Rhythmus braucht.

Heute weiß ich, dass ich den rhythmischen Wechsel zwischen den effektiven, kreativen und regenerativen Zeiten meines Lebens brauche. Erst der Rhythmuswechsel ermöglicht mir, leicht und mühelos zu arbeiten, die Begegnung mit Anderen zu genießen und mich körperlich zu entspannen.

Was ist dein Rhythmus? Und zwischen welchen Polen wächst deine Kraft?

Kraft entsteht in der Pause

Eigentlich habe ich damals nur aus Not entschleunigt. Ich konnte einfach nicht mehr. Meine altgewohnten leistungsorientierten Funktionsmustern hatten mich total ausgebrannt, die (immer persönlich zu zahlenden) Kosten waren zu hoch geworden. Ich brauchte Raum und Zeit für mich – und fürs Nichtstun.

Irgendwann habe ich dann den Gelben Stift genommen und bestimmte Tage im Monate für mich markiert: Tage, an denen ich keine Termine oder Verabredungen annehme. Tage, die nur dafür vorgesehen sind, dass ich das tue, wozu ich Lust habe. An denen ich meinen – manchmal verrückten, manchmal banalen – Impulsen folge.

Wie gesagt: Eigentlich habe ich aus purer Not entschleunigt.
Doch was ich mit diesen Gelben Tagen erlebt habe, hat jede meiner Vorstellungen gesprengt:

Ich bin auf völlig neue Fragen gestoßen
Meine kreativen Ideen haben rapide zugenommen.
Die Lust auf meine Leben ist sprunghaft angestiegen.
Ich habe andere Herausforderungen und Angebote angezogen – und mit weniger Aufwand mehr bewirkt.

Heute weiß ich, dass ich erst durch Entschleunigung wirksam werde. Durch die Zeit zwischen den Aufgaben. Durch die Zeit für pure menschliche Begegnungen, die nähren und inspirieren.

Meine Kraft entsteht in der Pause.

Das Geschenk der Zeit

Ich habe mich Ende Mai entschieden, einen Tag in der Woche in meinem Kalender zu markieren: hier gibt es keine Termine, keine Aufgaben. Dieser Tag ist ein Tag, den ich ganz der Zeit schenke. An diesem Tag geschieht nichts nach Plan. Ich folge meinen Impulsen und der Spur der Lust… Für eine Frau wie mich, die sich durch das unentwegte Funktionieren einen Platz in der Welt gesichert hat, ist das ein Quantum Sprung.

Warum diese Wahl? Ich weiss, dass bestimmte Einsichten, Ideen und Inspiration nur im Seinsfeld der Zeit auftauchen können. Ich spüre, dass die eigene intuitive Spur aus einem Raum von Nicht-Einmischung entspringt. Jedes Müssen und Sollen ist wie eine Gegen-Gift für diesen Aspekt meines Lebens. Ich glaube, die Sehnsucht wächst, mich pur zu leben – unabhängig von eingespielten und sicheren Abläufen.

Ich erlebe mit dieser Entscheidung ein unsagbares Glück in den Zwischen-Räumen der Zeit. Ich erfahre, dass manche Gaben nur die Zeit bringt. Freundschaft – zum Beispiel – gedeiht nur im Reich der geteilten Zeit. Beziehung und Partnerschaft gelingen organisch und leicht, wenn wir genügend Zeit mit einander verbringen.

Es braucht wohl eine erschütternde Erfahrung der Vergänglichkeit, um die Zeit, die wir mit einem Menschen teilen, wirklich würdigen und schätzen zu können. Erst dann bin ich im Augenblick angekommen.

Ich danke meinem Vater für diese Erfahrung der Vergänglichkeit – und für die Kraft seines Herzens.