Frieden beginnt im Körper

Wie liebt man sich selbst? Diese Fragen hat mich viele Jahre beschäftigt. Ich bin in einer Zeit und in einer Familie aufgewachsen, in der Nächsten-Liebe ein hohes Ideal war, und Selbst-Liebe als eine Form des Egoismus galt. Inzwischen weiß ich – auch aus schmerzlichen Erfahrungen, dass Frieden immer mit Selbstannahme beginnt.

So hat mich dieses Video tief berührt und bewegt. Thich Nhat Hanh gibt auf die Frage ‚How do I love myself?‘ eine verblüffend einfache Antwort:

 First you breathe in, than be aware of your body.

Dieser stille, weise Mann aus Vietnam berührt mich. Sein Sprechen ist eine Form des Hörens. Seine Antworten entstehen im Lauschen… Bei ihm werden die großen Fragen – ganz einfach – zu einer Brücke ins Wesentliche. Er webt aus ihnen konkrete Achtsamkeits-Übungen – unmittelbar und unbeschwert.

How do I love myself?

Für ihn beginnt Selbstannahme mit dem Spürbewusstsein, mit dem bewussten Erspüren unseres eigenen Körpers. Liebe ist hier eine praktizierte Freundlichkeit mit dem, was ist – ohne Abwehr, ohne Hader.

You are made of sunshine, fresh air and fresh water. Appriciate the wonder of your body. Your body is a masterpiece of the universe, and the seed of consciousness.

Nichts trennt uns so sehr von uns selbst und anderen, wie unsere Urteile und Bewertungen. Aus ihnen entstehen Überzeugungen, die Veränderung verhindern. Sie erzeugen fixierte Spannungen in unserem Körper, die sich nicht mehr von alleine verflüssigen können. Unser Körper leidet. Dann hilft und heilt Achtsamkeit und Freundlichkeit. Sie ist für Thich Nhat Hanh die unmittelbarste Form der Liebe und der Weg in den Frieden.

Wenn wir vom Flüssigen Ich sprechen, dann meinen wir genau das: Unser mentales, emotionales und leibliches Spürbewusstsein sind so miteinander verbunden, dass die Wahrnehmungen unserer Sinne (ohne Hader) durch unser Bewusstsein fliessen können. So können sich fixierte Spannungen durch einen freundliche Achtsamkeit im Körper auflösen.

Dazu braucht es nahezu immer andere Menschen, ein wohlwollendes Gegenüber, durch und mit dem wir in empathischer Resonanz wachsen können. Jemand, der mich mit seinen Worten im Herzen bewegt – wie Thich Nhat Hanh. Oder auch jemand, der mir mit kundigen Händen den freundlichen Dialog mit meinen Körper ermöglicht. Oder eine gute Freundin/ ein Freund, mit dem das Sprechen zum Lauschen wird.

Das entspannte Ankommen im Körper wird so zu einem Tor ins empathische Mitfühlen – mit den eigenen Vorfahren, mit den Nächsten, mit der Schöpfung. Und zur Brücke in die soziale Verantwortung und ins Handeln. Wir hatten zu keiner Zeit auf diesem Planeten so viele Möglichkeiten uns gegenseitig zu unterstützen wie heute… Ich bin sehr dankbar dafür, in dieser Zeit leben und sie aktiv mitgestalten zu können.

P.S. Ich habe gerade erfahren, dass Thich Nhat Hanh (88 Jahre) mit einer Gehirnblutung im Krankenhaus liegt – und auf seine friedliche Weise mit dem Leben ringt. Beim Ein- und Ausatmen denke ich immer wieder mal an ihn. Er hat so viele Menschen mit seiner Freundlichkeit berührt… Ich bin mir sicher: Vieles von dem, was er bewegt hat, fließt nun zu ihm zurück. Möge auch diese Zeit seines Lebens für ihn friedlich gelingen.

Der Weg der Liebe oder der Weg des Friedens?

In seinem Buch ‚The Valkyris’ stellt Paulo Coelho fest: Irgendwann müssen wir alle wählen – zwischen dem Weg des Friedens oder dem Weg der Liebe.

Der Frieden nimmt immer den inneren Konflikt, die Anpassung und das Unabdingbar in Kauf, um friedliche Beziehungen – zu jedem Preis – zu gewährleisten. Hier läuft das Chamäleon zu Hochformen auf, hier findet es seine eigentliche Bestimmung. Hier hat die Flexibilität gewonnen und führt uns in eine lassende Weise der Hingabe.

Die Liebe aber ist niemals vorbehaltlos friedlich. Sie mutet sich ganz zu. Sie bekämpft alles, was trennt. Sie spricht Wahrheit, auch wenn sie unangenehm ist. Sie scheut keine Auseinandersetzungen und Konflikte. Sie durchschlägt – notfalls auch mit dem Schwert – das Dickicht aus Ignoranz, Lügen und Selbstbetrug. Sie fordert uns auf, uns aus Leidenschaft ganz zuzumuten, aus Liebe um etwas zu kämpfen, aus Liebe wütend zu werden, mich ganz zu zeigen und zu geben. Sie drischt uns, sie mahlt uns, sie bringt uns dazu, aus Liebe zu einem anderen Menschen zu wachsen.

Hier hat die Konsequenz des Herzens gewonnen. Hier führt die Liebe in die richtungsgebende Kraft der Hingabe… Und der Frieden beginnt in mir.

Auf einmal weiß ich: Manchmal hat allein die unbedingte emotionale Beziehungskraft die notwendige und wandlungsfähige Information (Changing Information), um uns an unsere verdeckten Möglichkeiten zu erinnern. In dieser Energie verbinden sich Frieden und Liebe – endlich – als fundamentale Kräfte der Hingabe.

Jetzt fehlt nur noch mein Mut zum vorbehaltlosen Ausdruck. Doch warum zögern, wenn alles so wohlwollend gemeint ist?