Der Körper als Terra Incognita in der Beratung

Als ich einen Anruf von der Zeitschrift OrganisationsEntwicklung bekam und Caspar Fröhlich mich fragte, ob ich nicht einen Artikel über die Bedeutung des Körpers in der Beratung schreiben wollte, war ich erst mal sprachlos. Die ZOE ist eine Zeitschrift für Berater, Organisationsentwickler und Coaches, in der Innovatives und Grundlegendes praktisch und konkret aufbereitet wird. Aber mit dem Körper wollte er eine Thema ansprechen, dass in Organisationsberatungen nach wie vor weitestgehend unbeachtet ist.

Er verkörpert die physische Seite unseres Bewusstseins. Er ist eine Quelle der Intuition, und ein guter Seismograph für Stimmungen und Nicht-Gesagtes. In meine Arbeit hat er einen große Bedeutung – vor allem für die persönliche Wirksamkeit in der Führung.

Die Seele stellt sich als weitaus körperlicher dar, als wir sie uns in den letzten Jahrhunderten vorgestellt haben. Damit wird der Körper zum Wahrnehmungsorgan für unsere Intuition, für die Synchronizität von Ereignissen und für die Wahl des richtigen Zeitpunkts. Empathie ist in ihrem Ursprung eine sehr körperliche Erfahrung. (Windhausen, Reifferscheidt, Das flüssige Ich, S. 92. BoD 2012)

Historisch gesehen kam es mit der Aufklärung zu einer kollektiven Auswanderung aus dem Körper. Der Mensch sollte funktionieren – wie eine Maschine. Dafür sind wir in den Kopf umgesiedelt – in unsere Vorstellungen, und in Rollen, die vor allem auf die Erwartungen der Anderen abgestimmt sind. Freiheit wurde als eine Form des Denkens erlebt, und war an die Abkopplung vom Körper gebunden. Inzwischen wissen wir, dass diese Freiheit ein goldener Käfig war. Wir haben sie teuer bezahlt – mit Entfremdung, Stress, Burnout, Sinnlosigkeit. Ohne im Körper zu wurzeln, beginnt unser Selbst zu fragmentieren. Es gibt keinen Ort mehr, in dem unsere Vielfalt zusammenfließen und eins sein kann.

Unser Transformations-Knowhow hat von Anfang an den Körper mit einbezogen. Wir wussten, dass der Weg zu unseren Potentialen über den Körper geht. Um für große Veränderungen bereit zu sein, müssen Kopf und Körper sich auf eine flüssige Weise verbinden. Wenn es um Ganzwerden geht (statt um Besserwerden), dann braucht es physische Integrität. Erst in der Kombination von Denken (Bewusstsein), Fühlen (Emotion) und Spüren (Körper) wird Originäres geboren. Die wirklich bedeutsamen Revolutionen werden erst durch Integration möglich.

Jetzt ist die Januar-Ausgabe der Zeitschrift für OrganisationsEntwicklung erschienen – und mittendrin mein Artikel. Er beginnt mit einem Ausflug in die Neurobiologie unseres Selbstgefühls. Dann wird die Situation eines Change Professionals anhand einer typischen Beratungssituation illustriert und aufzeigt, wie Change Professional ihren Körper bewusst nutzen können. Zum Schluss gibt es Hinweise, wie Veränderungsbegleiter Ihr Körper-Spürbewusstsein bewusst stärken können. Die Zeitschrift können Sie im Buchhandel kaufen oder online bestellen.

Jedes zukunftsorientierte Coaching, jede transformatorische Beratung braucht eine körpernahe Wahrnehmung der Realität und körpernahes Handeln. Für alle, die Veränderungsprozesse aktiv mitgestalten (Organisationsberater, Change Manager, Organisatons- und Personalentwickler, Berater, Trainer, Coaches, Learning & Development Spezialisten, etc.), wird das Wissen um den Körper in Zukunft zu einem Basis-Baustein ihrer professionellen Kompetenz werden müssen.

Vielleicht kann dieser Artikel Impulse in der Organisationsentwicklung setzen, die es für alle Beteiligten ein bißchen leichter macht, mit Changeprozessen umzugehen – egal, ob sie persönlich oder beruflich vollzogen werden.

Mich würde interessieren, welche Rolle der Körper für Sie in Transformationsprozessen gespielt hat – oder gerade spielt. Vielleicht haben Sie ja Lust, mir Ihre Körper-Geschichte dazu zu erzählen. Entweder hier im Kommentarfeld, oder auch gerne per Mail (windhausen@sonnos.net).

Selbstführung als Weg der Integration

Als 2012 unser Buch erschien und wir unsere Pressemitteilungen rausgeschickt hatten, bekamen wir von der Zeitschrift Managerseminare die Anwort: Selbstführung – das interessiert uns nicht. Jetzt ist von ihnen die Ausgabe ‚Selbstführung – Der innere Lotse‘ erschienen. Innerhalb von nur einem Jahr hat sich also das Blatt gewendet…

Als wir vor 12 Jahren begannen, uns mit emotionaler Selbstführung zu beschäftigten, war das für die meisten ein ‚Fremdwort‘, mit dem niemand so recht etwas anfangen konnte. Heute gehört Selbstführung zum Standard-Repertoire eines jeden Führungskräftetrainings. Bei den zunehmenden Anforderungen eines Führungsalltags wird es immer wichtiger, sich im Umgang mit den eigenen Grenzen und Möglichkeiten, Bedürfnissen und Potentialen gut führen zu können – und dabei klar zu wissen, wohin ich mich führen möchte.

Manchmal jedoch laufen mir Schauer über den Rücken, wenn ich höre, wie Selbstführung als Führungskompetenz eingefordert wird. In der Regel wird Selbstführung hier im Sinne von Selbstkontrolle verstanden. Dann zeigt sich Kompetenz vor allem darin, wie gut jemand unerwünschte Gefühle kontrollieren und erwünschte Gefühle gezielt auslösen kann. Doch die gezielte Abwertung bestimmter Gefühle, spaltet uns in positive und negative Aspekte. In das, was veröffentlicht wird, und in das, was verheimlicht werden muss. Damit wächst die Fragmentierung unseres Selbst und der Schmerz der Spaltung. Und das verstärkt erwiesenermaßen den Stresspegel im Körper.

Für Birgit-Rita Reifferscheidt und mich war Selbstführung immer ein Weg der Integration. Uns geht es darum, Bewertungen zu verflüssigen und neue Möglichkeiten im Denken, Fühlen und Handeln ins Leben zu bringen. Mit den Jahren sind wir zu Spezialistinnen für die Selbstführung in Transformationsprozessen geworden. In unserem Buch Das flüssige Ich haben wir unser Knowhow auf kompakte Weise zusammengefasst.

Unsere Passion ist es, diejenigen zu unterstützen, die Veränderungsprozesse gestalten. Und zwar, indem sie einen lebendigen Zugang zu ihren eigenen Gefühlen entwickeln und dabei die Angst vor der Unvollkommenheit verlieren. Selbstführung heißt für für uns, die eigene Potentialentfaltung in die Hand zu nehmen – so, dass sich Transformation ereignen kann. Jeder, der sein Fühlen und Denken neu versteht, gewinnt zusätzliche Handlungsmöglichkeiten. Dabei geht es uns nicht um mehr Kontrolle, sondern um eine größere Stimmigkeit.

Dazu ist der verständige Umgang mit Gefühlen wichtig – denn die Abwehr vor Gefühlen begrenzt unsere Möglichkeiten. Selbstführung braucht auch den bewussten Umgang mit den Gedanken – denn unsere Denkmuster, Glaubenssätzen und Bewertungen halten unser Bewusstsein in alten Vorstellungen gefangen. Selbstführung beginnt im eigenen Körper – denn eine neue Beweglichkeit braucht auch neue Bewegungen. Führungsverantwortliche, die sich auf diesen Weg der persönlichen Integration begeben, erleben häufig einen Quantensprung in ihrer Wirksamkeit. Durch den flüssigen Umgang mit ihren Gefühlen ermöglichen sie Mitarbeitern und Kollegen einen kreativen Umgang mit den eigenen Grenzen.

Alle Gefühle sind wertvoll. Sie zeigen unsere persönlichen Werte, Bedürfnisse, Grenzen. Sie ermöglichen Gemeinschaft (im Team, in der Familie, in Freundschaften), aber auch Abgrenzung und Individualität. Wenn sie rundlaufen, gewährleisten sie Verbundenheit und Eigenständigkeit. Das lässt sich nur in einem bewertungsfreien Raum erlernen, in dem Schwächen als Poteniale und Unvollkommenheit als Stärke erkannt werden. Dazu braucht es Möglichkeitsräume, in denen wir erleben können, dass wir in unserem Menschsein wichtiger sind als in unserer Funktion. Dabei ist die Entfaltung unserer Potentiale ebenso wichtig, wie der effektive Umgang mit unseren Ressourcen. Mehr und mehr kann so ein Bewusstsein enstehen, in dem Kreativität und Selbstverantwortung, Individualität und Gemeinschaft Hand in Hand gehen.

Logik der Gefühle 3: Wie wir Zeit erleben

Unser körperliches, emotionales und mentales Bewusstsein unterscheidet sich vor allen auch dadurch, wie wir in ihnen die Qualität von Zeit erleben. So ermöglichen unsere Gedanken mentale Geschwindigkeit und unsere Emotionen brauchen Zeit und Raum,  während unser Körper pure Gegenwart verkörpert. Entspannung bedeutet also: Aus der Geschwindigkeit des Kopfes in die Zeitlosigkeit des Körpers zu finden.

Logik der Gefühle 3: Wie wir Zeit erleben

Logik der Gefühle 1: Körper + Emotion + Denken

Die wesentlichen Strukturen unseres körperlichen, emotionalen und mentalen Bewusstsein entwickeln sich in unserer Kindheit. Körper, Fühlen und Denken bauen aufeinander auf und beeinflussen sich gegenseitig.

Wie lernen wir zu fühlen und was haben Gefühle mit Beziehungen zu tun? Wodurch entsteht unser Körperbewusstsein? Wie entwickeln sich unsere Gefühle? Und was prägt unser Denken?

Logik der Gefühle 1: Körper + Emotion + Denken

Jeremy Rifkin: Die Empathische Zivilisation

Jeremy Rifkin ist mir dadurch aufgefallen ist, dass er als Amerikaner so viel Augenmerk auf die historische Entwicklung des europäischen Bewusstseins hat, und auf unseren – seiner Meinung nach – wichtigen Beitrag für die globale mitmenschliche Zukunft. Nun ist sein neustes Buch Die empathische Zivilisation erschienen.

Ich habe mich über einige ziemlich polemische Artikel über dieses Buch gewundert, denn ich kenne Rifkin als einen intelligenten und differenzierten Autor.

Schließlich wollte ich es wissen, habe mir das Buch gekauft und es selber gelesen. Als ich einmal mit dem Lesen angefangen hatte, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen.

Rifkin beschreibt auf anschauliche Weise die Reise der Menschen zu einem empathischen Bewusstsein. Seine Sicht auf die menschliche Geschichte und auf die Entwicklung unserer Gefühle hat mich sehr inspiriert.

Hier ein paar Essenzen aus dem Buch:

  • Die Evolutionsgeschichte der Menschen lässt sich als eine Entwicklungs-geschichte der Empathie lesen.
  • Ohne die Entwicklung von Sprache und Schrift wäre Selbst-Bewusstsein und Empathie, wie wir es heute kennen, nicht möglich.
  • Empathie wächst durch Bindung und Beziehung. Sie wird erst durch Introspektion und Selbstreflexion möglich.
  • Das Christentum hat eine große empathische Bewegung ausgelöst.
  • Dass Eltern, Erziehung und Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung von Kinder eine große Rolle spielen, ist eine relativ junge historische Erkenntnis.
  • Um uns empathisch weiterzuentwickeln, brauchen wir neue Wege der Energieversorgung, die Möglichkeit der vernetzten Kommuniktation und ein Bewusstsein für unsere Verbundenheit mit der gesamten Biosphäre.
  • Die empathische Erweiterung unseres Selbst macht immer komplexere gesellschaftliche Interaktionen und Infrastrukturen möglich.
  • Für die Entwicklung von Empathie braucht es verkörperte Erfahrungen. Mit dem Ende des Patriarchats entdecken wir die Bedeutung des Körpers für unsere mitmenschlichen Beziehungserfahrungen.

Ich finde, jeder Berater, jeder Lehrer oder Erzieher, jeder Unternehmer, jeder Politiker, der an unsere emotionale Intelligenz glaubt, sollte dieses Buch lesen.
Erstaunlich, dass es in unserem Land nur so wenig positive Resonanz zu einem Buch über die Geschichte der empathischen Beziehungsfähigkeit gibt.

Sind wir wirklich immer noch nicht so weit?