Mannheim Hauptbahnhof. Es ist 16.05 und ich warte auf meinen Zug nach Düsseldorf. Ich setze mich auf die Bank auf Bahnsteig 3 und spüre sofort, wie unangenehm kalt das Metall unter mir ist. Da sehe ich unter der Bank einen Spiegel liegen. Auf dem Deckblatt steht ‚Gesucht: Staatsfeind Steuersünder’. Das passt, denke ich, hebe das Magazin auf und setze mich darauf. Wofür unsere Steuersünder alles gut sind…
Nach einer Weile bewegt sich ein Mann in meine Richtung. Ich wundere mich noch, wie offensichtlich Isolation und Einsamkeit in seinem Energiefeld zu spüren sind, da setzt er sich neben mich. Eine Weile schweigen wir nebeneinander. Dann beginnt er unvermittelt mit lauten Selbstgesprächen. Eine ganze Tirade von Vorwürfen und Beschimpfungen macht sich neben mir breit. Er beschimpft Gott und die Welt – die Beamten, die Reichen, die Schaffner… Er hat scheinbar völlig vergessen, dass ich neben ihm sitze – oder es interessiert ihn einfach nicht.
Ich staune: Da verbringt jemand diese kostbare Wartezeit zwischen den Geschäftigkeiten des Lebens freiwillig – und ausgesprochen leidenschaftlich – mit negativen Gedanken, Hader und Ärger… Und ich darf zuhören, wie er laut denkt…
Wie viele Menschen es wohl gibt, die innerlich das gleiche tun – ohne dass wir ihre Gedanken hören können? Wie viele Menschen wohl lieber ihre Energie leidenschaftlich in den Hader stecken, als in die Chancen und Möglichkeiten ihres Lebens?
Vielleicht ist mein Optimismus ein eher ungewöhnliches Phänomen. Und vielleicht haben die meisten Menschen viel weniger Zuversicht in die Zukunft, als ich gehofft habe.
Was einem auf deutschen Bahnhöfen so alles begegnet…