Am nächsten Morgen werde ich mit der Erkenntnis wach: Ich gehöre hier oben nicht hin. Ich komme aus dem Flussland…
Darin liegt keine Unzufriedenheit, kein Hader, keine Klage. Es ist ganz einfach eine Einsicht in den Sinn meines eigenen Lebens.
So langsam wächst in mir der Stolz auf das Erbe meiner Vorfahren. Unsere deutsche Geschichte hat uns dazu gezwungen, uns mit der Schuld der Täterschaft auseinanderzusetzen…
Wir haben ein nahezu perfektes Programm zur Auslöschung des Fremden entwickelt… Der Genozid scheint zu einer Phase der Menschheitsentwick-
lung dazu zu gehören. Wir finden ihn überall: in den USA (Indianer), in Australien (Aboriginis), in Europa (Juden), in Asien (z.B. Tibeter)… Mitmenschlichkeit wächst aus unserem Schatten. Erst die eigenen dunklen Seiten lehren uns das Mitgefühl mit den Anderen.
Es gibt nicht viele Völker auf dieser Erde, die ihre eigene Schatten-Geschichte so eingestehen mussten wie wir. So ist aus einer faschistischen Haltung eine kooperative geworden, aus Ausgrenzung das Bemühen um Integration. Aus Kontrolle wird Herzkraft, aus Funktion wird Authentizität. Auch wenn wir noch nicht angekommen sind – wir sind auf dem Weg – langsam, Schritt für Schritt.
Zu Hause angekommen, habe ich zunächst das Gefühl, viel zu langsam für meinen Alltag zu sein… Auch wenn ich inzwischen wieder ganz gelandet bin, etwas ist ‚anders’ geblieben: Ein innerer Abstand zu den Dingen der Welt… Ein gelassener Blick – vom Dach der Welt – auf die Konflikte des Lebens… Ein tiefes Wissen darum, dass jede Erfahrung, die wir machen, ihre Wurzeln in unserer Geschichte hat – sowohl persönlich als auch historisch.
Es gibt immer eine Archäologie des Augenblicks. Und ich erkenne meinen Platz in der Geschichte.
Danke, dass ihr 10 Tage mit mir gegangen seit…