Ich kann mich noch gut erinnern: Ich war 14 Jahre. Es war 10 Uhr, und wieder einmal begann die große Pause in der Schule. Aus allen Klassen stürmten Schülerinnen und Schüler auf den Hof – und mein persönlicher Albtraum be- gann. Das Kreisgymnasium in Halle (Westf.) war nicht groß, und doch erschien mir der Pausenhof wie ein unendliches Universum. Wenn ich mich über diesen Platz bewegte, war ich – bevor ich am anderen Ende ankam – mehrmals gestorben. Entfernungen schienen unendlich, Mitschüler unerreichbar, und der Raum dazwischen unüberwindbar.
1957 – also ein Jahr bevor ich geboren wurde – hat Martin Buber sein Buch Ich und Du geschrieben. Bis heute gehört dieses Buch zu meinen persönlichen Bücherschätzen. Martin Buber zählt für mich zu den Menschen, die den Raum der Begegnung mit viel Genauigkeit und Liebe ins Wort gebracht haben:
Beziehung lebt im Raum zwischen uns. Sie lebt nicht in mir und nicht in dir, nicht mal in unseren Dialog. Beziehung braucht den Raum zwischen uns, um sich zu enfalten… Dieser Raum ist heilig.
Mit 14 habe ich diesem Raum allerdings vor allem als Isolation erlitten. Ich wusste nicht, dass sich abgewehrten Gefühle (Ängste, Hilflosigkeiten, Über- heblichkeiten) im Beziehungsraum ablagern, und verhindern, dass wir Offenheit erleben. Ich wußte nicht, dass diese emotionale Verunreinigung des Raums der Grund dafür waren, warum ich mich so unverbunden fühlte.
Ich habe viele Jahre gebraucht, um meine Angst vor Kontakt zu meistern. Immer wieder bin ich innerlich den Weg über den Schulhof gegangen. Ich habe nach Möglichkeiten gesucht, das zu verbinden, was in mir unverbunden war. Ich habe nach Wegen gesucht, dem Du im Anderen zu begegnen – und nicht meinen Vorstellungen von ihm. Auf diese Weise bin ich dann schließlich zu einer Expertin für Beziehungsentwicklung geworden.
Zu den großen Beziehungsexperten unserer Zeit gehören für mich Hedy und Yumi Schleifer. Seit Jahren inspiriert mich ihre tiefe Spiritualität, mit der sie den Raum zwischen uns segnen. Jede Begegnung ist für sie eine Möglichkeit dem Wunder zu begegnen.
In diesem TED-Vortrag spricht Hedy Schleifer darüber, wie viel Mut es braucht, uns auf Kontakt einzulassen. Wie für Buber entspringt auch für sie Beziehung im Raum. Nicht in mir. Nicht in dir. Nicht mal im Dialog. Sie lebt im Raum zwischen uns. Für die Erfahrung einer tiefen Begegnung müssen wir uns von uns weg, und auf den anderen zu bewegen. Sie sagt:
There are three unvisible connectors – the Space, the Bridge an the Encounter… It takes courage to be connected.
Begegnung ist nur möglich, wenn wir den Raum zwischen uns zu einem heiligen Ort werden lassen. Ganz paktisch beschreibt sie, wie wir die Brücke bauen können – vom Ich zum Du, hinein ins Wir.
Lassen Sie sich inspirieren. Ich bin mir sicher, sie weckt auch in Ihnen die Lust auf Begegnung…
Du hast nicht zuviel versprochen! Diese 20 Minuten haben mich inspiriert, mehr noch, sie haben mich tief berührt und tatsächlich Lust auf diese Art von Begegnung geweckt! Das Bewußtwerden über den Beziehungsraum zwischen uns macht mir deutlich, daß es in erster Linie gar nicht um jeden Einzelnen von uns mit all seinen Gedanken, Meinungen und Vorstellungen geht sondern um die Unvoreingenommenheit mit der ich mich in diesen Raum begebe. Ganz mutig, ganz pur all meine Vorstellungen und Raster hinter mir zu lassen, um statt mit dem Kopf mit meinem offenen Herzen zuzuhören. Nicht der Einzelne an sich ist dabei die Hauptsache, sondern daß, was zwischen uns entstehen kann.
In dieser Art von Begegnung geht es dann auch nicht mehr um Leistung, z.B. wie soll ich sein, daß der andere mich mag, was muß ich tun, um zu gefallen, zu unterhalten, zu begeistern. Das sind nämlich Gedanken, mit denen ich früher meinen Beziehungsraum oftmals getrübt habe. Damit habe ich zahlreiche wahre Begegnungen aus Unsicherheit verhindert.
Das Bild des „heiligen Raums“ gefällt mir sehr. Er ist für mich auch der Ort, in dem ganz neue Möglichkeiten entspringen können, wenn 2 Menschen sich auf eine wahre Begegnung einlassen. Und es ist mir klar, daß ich in jeder Begegnung eine Verantwortung für diesen heiligen Raum trage. Ein ganzer Arm voller Inspirationen!
Für mich heißt das: Wenn der Raum zwischen uns heilig wird, beginne ich zu staunen. Ich bin offen für Wunder, für das Unverhoffte… Und es ist micht mehr so wichtig, was ich für mich will. Viel wichtiger wird auf einmal, was das Leben von uns will, und sich für mich ausgedacht hat.
[…] wir brauchen, um unsere Individualität zu entwickeln. Und wie sehr die Art, wie wir heute Kontakte gestalten, davon geprägt ist, wie wir als Kind Zugehörigkeit erlebt […]