Ben Becker – Wenn Worte lebendig werden

Zu meinem letzten Geburtstag habe ich von Birgit-Rita Karten für die Bibel-Symphonie mit Ben Becker geschenkt bekommen. Und heute ist es so weit. Wir sitzen in der Kölnarena, Reihe 12 und haben einen freien Blick auf die Bühne. Ein Predigerpult, das Filmorchsester Babelsberg, die Zero Tolerance Band und eine Videoleinwand – aufgebaut wie ein dreiteiliger Triptychon.

Ich bin aufgeregt – und gespannt wie ein Flitzebogen. Es ist lange her, dass ich mir 3 Stunden Zeit für die Bibel genommen habe… Irgendwann in den 80ger Jahren als ich in Münster – neben anderen Fächern – auch Theologie studiert habe.

Während sich die Halle langsam füllt, tauchen Erinnerungen an die Gottesdienste meiner Kindheit auf… Jeden Sonntag hörte ich in der Kirche den Satz: Sprich nur ein Wort – und meine Seele wird gesund. Und ich weiß noch, wie ich mich immer bemüht habe, das gesprochene Wort so zu hören, dass es in mir lebendig wird.

Irgendwie wußte ich, dass Worte heilen und verändern können. Damals war ich ganz sicher, dass Worte in unserem Körper wirken, wenn wir sie nur richtig hören können. So habe ich Sonntag für Sonntag das Hören geübt und mein Empfindungsvermögen geschult.

Ich wußte damals noch nicht, dass uns nur Worte im Herzen bewegen können, die aus dem Herzen kommen. Und von Gefühlen war an diesen Sonntagen in der Kirche nicht wirklich viel zu spüren. Mitmenschlichkeit war so tief hinter Formalismen und Konventionen verborgen, dass ich vergeblich versucht, leere Worthülsen zum Leben zu erwecken.

Ben Becker hat nicht viel mit Religion am Hut – auch wenn er stets von einer Armada von Schutzengel umgeben zu sein scheint. Dafür bringt er jedoch – in alles was er tut – die geballte Leidenschaft seines Lebens mit ein.

Als er anfängt zu lesen beginnen mir die Tränen über das Gesicht zu laufen. Jedes Wort, jedes Bild bewegt mich. Durch ihn werden Worte, die ich unzählige Male gehört habe, plötzlich lebendig. Und jede biblische Geschichte wird zu einer Geschichte aus meinem Leben – errungen, gefühlt und erlitten. An diesem Abend werden Hören und Sprechen in mir eins… Und meiner Liebe für die Kraft der Worte wachsen Flügel.

Wenn wir uns ganz geben, werden Worte lebendig.

Übrigens: Die Erstaufführung im Tempodrom Berlin 2007 gibt es auch auf DVD. Sehr sehens- und hörenswert!

Leichtigkeit entsteht durch Üben

Wir machen eine Radtour durch die Stadt. Im Düsseldorfer Hafen sehen wir auf einmal ein Auto, das über dem Hafenbecken an einem Kran aufgehängt ist. Verdutzt halten wir an – und stehen am Set für Dreharbeiten zu der Serie Alarm für Cobra 11. Gerade wird alles dafür vorbereitet, um ein zweites Auto mit einer Explosion ins Hafenbecken fliegen zu lassen.

Wir sind neugierig und dürfen dem Filmteam bei ihrer Arbeit zuschauen… Wir lernen die Frau vom Fan-Club kennen, die Fotos macht. Und den Mann, dessen Firma den Kran vermietet hat. Einen Pyrotechniker und zwei Feuerwehrmänner, die zur Sicherheit da sind.

Ich staune. Wie viele Profis aus unterschiedlichen Fachgebieten bei so einem Stunt mitarbeiten… Wie viel Mühe, Kompetenz, Teamarbeit hinter den Kulissen notwendig ist, um eine Filmsequenz von vielleicht 10 Sekunden zu erstellen… Und wie diese Symphonie der Zusammenarbeit koordiniert wird… Alles, was leicht aussieht, ist wohl immer eine Folge von viel Übung.

Was begeistert Sie so sehr, dass Sie es gerne Tag für Tag üben?

Fehler-Kunst

Zum Geburtstag meines Vaters war unsere gesamte Familie in Düsseldorf im Roncalli Apollo Variete. Die Künstler waren alle aussergewöhnlich und alles lief perfekt… Und dann passiert plötzlich ein Flopp. Der ‚italienische‘ Confronsier fiel – von sich selbst unbemerkt – aus seiner Rolle und sprach auf einmal in reinstem Düsseldorfer Slang. Nach drei Sätzen kam er sich selbst auf die Schliche, schlug die Hand vor den Mund und stellte erschrocken fest: Auch du liebe Güte. Jetzt habe ich meinen italienischen Akzent verloren!

Nichts davon war geplant oder einstudiert. Es war einfach ein Fehler. Doch von da an, war der Bann gebrochen. Mit diesem Flopp hat er die Herzen aller Zuschauer erreicht. Immer wieder hat er auf sein Missgeschick angespielt und immer wieder haben wir schallend gelacht. Auf einmal war in einer nahezu perfekten Vorstellung ein menschlicher Augenblick eingefangen.

An diesem Abend habe ich eine völlig neue Sichtweise auf Fehler gewonnen. Es stimmt schon: When too perfect, God böse. Fehler schenken uns den Zauber des Augenblicks. In einer Zeit, in der es so viele inszenierte, simmulierte und retouchierte Wirklichkeiten gibt, wird der Fehler zum Garanten von Realität. Ich spüre mit jeder Zelle meines Körpers, dass ich live dabei bin… Ich erlebe hautnah mit, wie ein Augenblick aus dem Rahmen fällt und sich als Menschlichkeit entfaltet.

Was ein Glück, dass wir ab uns zu aus unserer Form fallen…

Das Geschenk der Generationen

Als ich zwölf war, kam meine Mutter vom Einkaufen zurück und erzählte sie mir, dass eine siebzigjährige Nachbarin jemanden suche, der ihr dreimal in der Woche die Kohlen aus dem Keller in ihre Wohnung im ersten Stock trägt. Ich hatte meinen ersten Job.

Ich habe ihr im Haushalt geholfen, bin für sie einkaufen gegangen und habe viele Jahre lang einen Teil meiner Freizeit mit ihr verbracht. Die meisten in meinem Alter haben das nicht verstanden – ich eigentlich auch nicht… Irgendwie fühlte ich mich damals mehr zu den Alten hingezogen, als zu den Jungen…

Diese alte Dame war dann auch der Grund, warum ich nach dem Abi ein halbes Jahr in einem Alten-Pflegeheim gearbeitet habe. Diese Zeit gehört zu den größten Schätzen in meinem Leben. Ich kann mich noch an viele der alten Menschen erinnern, denen ich dort – Tag für Tag – begegnet bin. Ihre Verlorenheit, ihren Humor, ihr Ringen mit dem Leben und dem Tod, ihre Dankbarkeit für die kleinen Gesten der Zuneigung.

Als ich schließlich meine erste Studentenwohnung bezog, war Frau Olyschläger kurze Zeit vorher in ein Altenheim umgezogen und hatte mir alles, was ich brauchte, aus ihrer Wohnung überlassen. Ich lag damals in einem rebellischen Kampf mit meinem Vater und wollte von ihm weder Geld noch Hilfe annehmen. Sie hat mir ermöglicht, den Einstieg in mein eigenes Leben mit Würde und Geschichte zu beginnen. Am Ende konnte sie friedlich sterben. Vielleicht auch weil sie die Möglichkeit hatte, ihre Erfahrungen mit einem jungen Menschen zu teilen, weil sie erleben durfte, dass ich ihre Lebensgeschichte bestaune und achte. Sie und meine Großeltern waren für mich wie eine tragende Schale, in der sich mein eigenes Leben entfalten konnte.

Erst als Erwachsene begann mich die Welt der Jugendlichen und der jungen Erwachsenen zu begeistern. Heute erlebe sie als einen wichtigen Kompass für meine und unsere Zukunft. So hat mich Inga Oltersdorf mit ihrem Posting Der eigenen Zeit verzeihen zu diesem Beitrag inspiriert.

Die Inspirationen der jungen Menschen fallen in die Schale, die sich durch das Lernen von den Älteren in mir gebildet hat. Irgendwie mußte ich mit dem Ende des Lebens beginnen, um mit mir anfangen zu können.

Inzwischen bin ich selber zu einer Schale geworden – für die, die nach mir geboren wurden… Ihre Flügel-Kraft entspringt der Wurzel-Kraft der Alten.

Was für ein Geschenk der Generationen.

Gefühle sind der Kompass

Gefühle haben in der abendländischen Kultur keinen besonderen Ruf. Ihre Missachtung lässt sich bis in die Antike hinein zurückverfolgen. Von Platon über Aristoteles bis heute gilt die Vernunft als überlegene Instanz – Gefühle werden dagegen als eher primitiv, unzuverlässig und gefährlich abgetan.

Erst in den letzten Jahren rücken die Gefühle mehr und mehr in den Fokus der Wissenschaft. Antonio R. Damasio ist einer der Wissenschaftler, die ihnen zu einem neuen Ruf verholfen hat. In seinem Buch Ich fühle also bin ich beschreibt er, dass es vor allem unsere Gefühle sind, die uns durch die vielenfältigen Dimensionen unseres Alltags führen…

Bei Spiegel online habe ich einen Artikel über Damasio gefunden, der anschaulich beschreibt, auf welche Weise unsere Gefühle uns führen und uns zu einem sicheren Platz in der Welt verhelfen.

Wo sind deine Gefühle dir ein wichtiger Kompass gewesen?