Mit den Flügeln der nächsten Generation fliegen

In diesem Jahr wird Johannes, mein Patenjunge, 18 Jahre alt. Er hat seit Jahren für sein Motorrad gespart. Jetzt ist er stolzer Besitzer einer KTM Duke.

KTM Duke

Für ihn ist es sicherlich eine Malboro-Erfahrung – voll mit Gefühlen von Freiheit und Männlichkeit.

Doch ich erlebe darin auch seine Sehnsucht nach Einzigartigkeit, Eigenständigkeit und sozialer Bedeutsamkeit.

Jetzt freue ich mich auf meine erste Fahrt mit ihm. Auf dem Rücksitz der Duke werde ich hinter ihm Halt im Umfassen der nächsten Generation finden…  Ich bin sicher, er wird sich und mich mit viel Achtsamkeit bewegen .

Was für ein Geschenk, mit den Jungen auf ihren Flügeln zu fliegen…

Freiheit in der Kommunikation

Wenn sich Paare bei mir zum Paar-Coaching einfinden, dann geht es in der Regel immer auch um die Grundbausteine der Kommunikation. In Beziehungen bestehen sie zunächst einmal aus dem Grundrecht des Hörens, des Fühlens und des Sprechens.

Heute morgen habe ich mit den 5 Freiheiten die Grundwerte von Virginia Satir wieder entdeckt, die sie im Rahmen der Systemischen Therapie für Beziehungen gefordert hat. Es ist, als hätte sie die Werte auf den Punkt gebracht, die in jeder Form der Paar-Kommunikation wichtig sind. Für sie besitzt jeder Mensch in seinen Beziehungen:

Die Freiheit zu sehen und zu hören, was im Moment wirklich da ist – anstatt das, was sein sollte, gewesen ist oder erst sein wird.
Die Freiheit, das auszusprechen, was ich wirklich fühle und denke – und nicht das, was von mir erwartet wird.
Die Freiheit, zu meinen Gefühlen zu stehen – und nicht etwas anderes vorzutäuschen.
Die Freiheit, um das zu bitten, was ich brauche – anstatt immer erst auf Erlaubnis zu warten.
Die Freiheit, in eigener Verantwortung Risiken einzugehen – anstatt immer nur auf Nummer sicher zu gehen und nichts Neues zu wagen.

(G. Moskau, G. Müller, Virginia Satir. Wege zum Wachstum: Handbuch für die therapeutische Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Gruppen).

Damit hat sie mir in dem, was mir in der Arbeit mit Paaren wichtig ist, aus der Seele gesprochen. Was meinen Sie dazu?

Ich bin Psychologin

Wenn ich neue Menschen kennenlerne, taucht im Gespräch irgendwann immer die Frage auf: „Was machst du eigentlich beruflich?“ Wenn ich dann erzähle, dass ich Psychologie studiert habe, erlebe ich oft: „Oh… dann muss ich ja vorsichtig sein, mit dem was ich sage“. Irgendwie fühlen sich viele Menschen plötzlich ertappt… Die Angst vor Abwertung und Kritik ist in Deutschland so groß, dass ich gelernt habe, die Frage nach meinem Beruf so zu umschiffen, dass der feine neue Kontakt nicht zerbricht.

Nun hat mich eine Freundin nach Kroatien eingeladen. Der Jugoslawienkrieg ist seit 1995 zu Ende. Seitdem ist so viel Zeit vergangen, wie vom Ende des 2. Weltkriegs bis zu meiner Geburt. Damals hatte ich das Gefühl, dieser Krieg sei seit Ewigkeiten vorbei. In Kroatien kann ich auf einmal spüren, wie kurz 14 Jahre sind… Wie traumatischen Kriegserfahrungen in Menschen weiter leben – und wirken.

Jedesmal, wenn ich mich in Kroatien mit meinem Beruf gezeigt habe, habe ich etwas anderes erlebt: Eine 30-jährige Frau erzählt mir, sie würde so gerne zu einer Psychologin gehen, um ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten… Ein 45-jähriger Kroate, der aufgrund seiner traumatischen Erfahrungen als Soldat arbeitsunfähig geworden ist, sagt: „Wir bräuchten mehr Psychologen in unserem Land. Es gibt so viel leidvolle Geschichte… seiner Familie und seine Freunden kann man sie einfach nicht immer zumuten“.

Die Sehnsucht nach Liebe und Freiheit ist größer, als die Scham für die eigene Geschichte. Ich staune, wie deutlich Menschen die Schatten ihrer Geschichte spüren – und wie positiv ihre Resonanz auf die Fähigkeiten einer Psychologin ist.

Was für eine Wohltat für eine Psychologin.
Was für ein guter Anfang für Europa…

Holzklotz statt Mitgefühl

Gestern ging es bei Aktenzeichen XY um die Jugendlichen, die in Oldenburg einen Holzklotz von einer Autobahnbrücke geworfen haben. Während des Beitrages habe ich mich immer wieder gefragt: Was mag wohl jetzt in ihnen vorgehen – wo sie wissen, dass eine ganze Nation nach ihnen sucht? Wem können sie sich wohl anvertrauen? Und was wird in ihrem Leben aus diesen Schuldgefühlen wachsen?

Heute lese ich einen Artikel zu diesem Vorfall im Zünder-Blog der Zeit. Darin fordert Carsten Lißmann seine Leser auf, sich in die Situation des Jugendlichen zu versetzen, der den Holzklotz fallen ließ – und der inzwischen weiß, dass seine Gedankenlosigkeit für eine junge Mutter tödlich war und für ihre Familie traumatisch ist. Mir spricht er dabei aus der Seele.

Dann lese ich die Kommentare zu seinem Artikel – und ich bin zutiefst schockiert. Kaum jemand scheint in seinen Artikel eine Befruchtung durch eine neue Sichtweise zu sehen und ihn als eine Inspiration zu verstehen. Stattdessen werden dem Autor Hirnlosigkeit, Narzissmus und Verharmlosung vorgeworfen.

In der Opfer-Täter-Debatte sind wir in Deutschland also immer noch nicht weiter gekommen. Mitgefühl scheint in unserer Gesellschaft nach wie vor gefährlich zu sein.

Vielleicht, weil wir unsere Sympathien für den Täter fürchten – da wir in unserer Geschichte so schlechte Erfahrungen mit unserem eigenen Sympathisantentum gemacht haben… So als würden wir unsere Werte und unsere Konsequenz verlieren, wenn wir die Geschichte mal von einer anderen Seite sehen. Als würde unser Mitgefühl dem Täter seine Verantwortung abnehmen. Als wäre Mitgefühl per se eine Strategie der Verharmlosung.

Mitgefühl setzt immer voraus, dass wir unsere eigenen Schatten kennen und uns in den Anderen hineinversetzen können – ganz gleich ob er Opfer oder Täter ist. Im Fall der sogenannten Holzklotz-Attacke würde das bedeuten, ein Gespür für unsere eigene Gedankenlosigkeit zu bekommen und uns an all die Mal zu erinnern, wo wir erst nach vielen leidvolle Erfahrungen (die Gott sei Dank nicht immer tödlich verlaufen) bereit waren, zu lernen und uns zu verändern…

Vielleicht würde der eine oder andere dann feststellen, dass ihm in seinen jungen Jahren – unter bestimmten Bedingungen – etwas Ähnliches hätte passieren können… Und unser Mitgefühl könnte uns verändern.

Blick in den Kopf – auf Bahnsteig 3

Mannheim Hauptbahnhof. Es ist 16.05 und ich warte auf meinen Zug nach Düsseldorf. Ich setze mich auf die Bank auf Bahnsteig 3 und spüre sofort, wie unangenehm kalt das Metall unter mir ist. Da sehe ich unter der Bank einen Spiegel liegen. Auf dem Deckblatt steht ‚Gesucht: Staatsfeind Steuersünder’. Das passt, denke ich, hebe das Magazin auf und setze mich darauf. Wofür unsere Steuersünder alles gut sind…

Nach einer Weile bewegt sich ein Mann in meine Richtung. Ich wundere mich noch, wie offensichtlich Isolation und Einsamkeit in seinem Energiefeld zu spüren sind, da setzt er sich neben mich. Eine Weile schweigen wir nebeneinander. Dann beginnt er unvermittelt mit lauten Selbstgesprächen. Eine ganze Tirade von Vorwürfen und Beschimpfungen macht sich neben mir breit. Er beschimpft Gott und die Welt – die Beamten, die Reichen, die Schaffner… Er hat scheinbar völlig vergessen, dass ich neben ihm sitze – oder es interessiert ihn einfach nicht.

Ich staune: Da verbringt jemand diese kostbare Wartezeit zwischen den Geschäftigkeiten des Lebens freiwillig – und ausgesprochen leidenschaftlich – mit negativen Gedanken, Hader und Ärger… Und ich darf zuhören, wie er laut denkt…

Wie viele Menschen es wohl gibt, die innerlich das gleiche tun – ohne dass wir ihre Gedanken hören können? Wie viele Menschen wohl lieber ihre Energie leidenschaftlich in den Hader stecken, als in die Chancen und Möglichkeiten ihres Lebens?

Vielleicht ist mein Optimismus ein eher ungewöhnliches Phänomen. Und vielleicht haben die meisten Menschen viel weniger Zuversicht in die Zukunft, als ich gehofft habe.

Was einem auf deutschen Bahnhöfen so alles begegnet…