Habemus papam

1978 – in dem Jahr, in dem gleich zweimal ein Papst gewählt wurde, begann ich mein Theologiestudium im Münster. Ich selbst war schon damals mehr Mystikerin als Theologin. Ich konnte das Leben nur in seiner Radikalität und letzten Dichte sehen. Ich wollte nicht glauben, dass hinter den Strukturen des Realen das Absurde und der Abgrund des Schreckens lauern – auch wenn mir das Leben fast immer so erschien. Stattdessen wurde ich von der Sehnsucht bewegt, irgendwo auf dem Grund der Wirklichkeit Zärtlichkeit, Zuwendung und ein liebevolles Geheimnis zu entdecken… damit das eigentliche Leben endlich beginnen kann.

In dieser Zeit habe ich schmerzlich gelernt, dass es immer 2 Wege der Theologie gegeben hat:

Der eine verfügte über das unglaublich stabile Vermögen, eine Welt neben der Welt zu erbauen, zu gestalten und zu erhalten. Er bietet den Menschen eine Möglichkeit der Flucht – hinaus aus den unerträglichen Leidenswegen der Welt, einen Trost im Angesicht des Absurden und unserer großen Heimatlosigkeit.

Der andere Weg war wesentlich fragiler – einfach weil er ständig die Kollision mit der aktuellen Wirklichkeit suchte. Hier ließ der Glaube nichts unberührt – weder Politik, noch Ökonomie oder Psychologie. Hier zeigte sich die Mystik des Herzens als Fähigkeit zu mitmenschlichem Handeln… Hier erwies sich der Glauben als Ermutigung, als vorbehaltlose Stärkung des eigenen Wertes, als Quelle der Zukunft. Auf dieser Seite bewegten sich vor allem die Theologen der Dritten Welt: Leonardo Boff, Ernesto Cardenal… Auffallend oft waren sie Mönche, Poeten und politische Kämpfer in einem… Was für eine Kombination…

Dieser Theologie der Befreiung war ich zutiefst solidarisch verbunden. Unser erklärter Lieblingsfeind war Joseph Ratzinger – Großinquisitor des 20. Jahrhunderts. Er war der Inbegriff einer herzlosen Zukunft, in der das Dogma über die Menschlichkeit siegt.

Mein Lieblingsfeind ist Papst geworden. Es ist ein seltsames Gefühl, dass mein alter Antipode nun zum höchsten Amt der Katholischen Kirche aufgestiegen ist. Damit ist er zu einem Weltenlenker geworden. Er repräsentiert nun für uns alle – neben dem Dalai Lama – das gewählte Gewissen der Welt.

Jetzt warte ich staunend: Ob seine neue Aufgabe ihm (und der Welt) doch noch die vorbehaltlose Kollision mit der Wirklichkeit schenkt? Wer für diese Aufgabe bestimmt wurde, bekommt eine unermessliche Chance. Für ihn ist jetzt noch einmal alles möglich… Er darf ein zweites Mal wählen… Ich schenke ihm meine Offenheit…

Weltinnenpolitik

Weltinnenpolitik: dieses neue Wort, mit dem Bundespräsident Köhler das Jahr 2005 begann, lässt mich nicht mehr los. So viele unterschiedliche Dimensionen erschließen sich mit ihm: Welt-Innenpolitik… Welt-Innen-Politik… Weltinnen-Politik.

Auf einmal geht uns die Welt unter die Haut – sie ist nach Innen gerutscht. Die Menschheit beginnt – allen politischen Uneinigkeiten und menschlichen Vorbehalten zum Trotz – in einem Geist zu handeln. Die weltweite Spendenbereitschaft spiegelt ein Ausmaß an globaler Solidarität wider, die bisher in der Menschheitsgeschichte einzigartig ist.

Das Innen und Aussen von West und Ost werden in diesen Zeiten als spiegelgleich erkennbar: Wir Europäer sind im AUSSEN sicher, die Not finden wir in unserem entwurzelten existenziellen Grund – im INNEN. Bei den Menschen in Asien erleben wir, wie sie – inmitten der ÄUSSEREN Not und Verunsicherung – von einer selbstlosen Mitmenschlichkeit und einer zweifelsfreien existenziellen Sicherheit im INNEREN getragen sind. Was für eine Chance zur Heilung – durch Kombination.

Weltinnenpolitik: Vielleicht eine Politik, die von inneren Werten + Sichtweisen bestimmt wird und die nach Lösungen der 3. Art sucht. Diese entspringen dem kooperativen Lernen und der Fähigkeit zur Kombination mit ‚dem Anderen’. Wie würde eine Politik aussehen, die darum weiß, dass wir mit unseren Gegnern etwas Wesentliches für die Menschheit lernen? Wie würden Verhandlungen verlaufen, in denen es nicht darum geht, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen sondern sie zur Befruchtung durch einen anderen Geist frei zu gegeben?

So viel wird möglich, wenn wir das Andere – bis hinein in unseren Grund – nehmen können. Lösungen der 3. Art sind vom Sieg der eigenen Meinung und vom faulen Kompromiss immer genau einen Quantensprung entfernt.

Wir wagen immer dort zu springen, wo wir mitfühlen können… Im Grunde ist es leicht.

The Story of Berlin

Mitten auf dem Kuhdamm – ein Erlebnismuseum: The Story of Berlin.
Eine multimediale Zeitreise durch die deutsche Geschichte, betrachtet und fühlbar gemacht durch die Wahrnehmungstore einer Stadt. Ich steige ein und der Strom der Geschichte nimmt mich mit (im doppelten Sinne des Wortes). Durch begehbare Kulissen, interaktive Touchsreens, Licht-, Ton- und Geruchsinszenierungen, werde ich zum aktiv Erlebenden: Ich kann Geschichte auf einmal hören, sehen und sogar riechen, ich bekomme ein unmittelbares Gefühl für die Seelen-Stimmung einer Zeit, für die Menschen-Kraft einer Epoche.

Beim Wiederauftauchen in unserer Zeit erfüllt mich eine große Dankbarkeit. Ich spüre, dass unsere Geschichte mein Erbe ist. Ohne sie wäre ich nicht. Ohne sie hätte mein Leben keinen Grund, keine Richtung. Ich spüre den unsagbaren Schatz menschlicher Erfahrung, den sie mir in den Rücken stellt. Immer wieder klingen Eindrücke, Bewegungen und Bilder aus dem letzten Jahrhundert deutscher Geschichte wie ein Echo in mir nach. Ich (wir alle!) wurde in eine Zeit hinein geboren, die mehr Geschichte produziert hat, als wir in einem Menschenleben verdauen können. Zum ersten Mal hört der Hader auf, der Groll, der stille Vorwurf gegen die kollektive Ignoranz meiner Vorfahren.

Schade, dass wir Geschichte immer wieder in die Vergangenheit abschieben. In ihrem Spiegel können wir so viel lernen: über die Logik der Gefühle, über die Grenzen der Politik, über die Verführbarkeit der Menschen, die nicht wissen wollen, über Dynamik und Stabilität von gesellschaftlichen Systemen.

Ich wünsche dieses Museum jedem Lehrer, jedem Schüler, jedem Politiker, jedem Künstler, jedem Unternehmer, jedem Psychologen… Etwas an dieser Zeitreise hat mich milde gestimmt.

Ist Führung ein Privileg?

Im Zug: Zwei Führungskräfte sprechen über hartnäckig sich verweigernden Mitarbeiter und dadurch entstehenden Kosten für das Unternehmen.

Ich frage mich im Stillen: Ist Führung ein Talent, eine Zumutung, ein Privileg? Oder eine Entwicklungsaufgabe, ein Lernfeld für Mitmenschlichkeit und kollegiale Mitverantwortung?

Plötzlich wage ich zu denken: Im Grunde ist für die Führung nur eine Frage von Bedeutung: Habe ich ein vorbehaltloses Interesse und Wohlwollen an den Menschen, die ich führe? Wer kein großes Ja für den ihm anvertrauten Menschen hat, kann ihn weder motivieren noch inspirieren und schon gar nicht führen. Ohne dieses Wohlwollen bleibt Führung ein gesellschaftliches Abkommen, mit dem Ziel, sich gegenseitig zur Abwehr aller Spielarten von Angst zu nutzen. Zunehmende Arbeitsunzufriedenheit und hohe Krankenständen sind darin genauso vereinbarte Spielformen wie Sabotage und Boykott.

Führung gelingt nur aus Liebe. Ihre existenzielle Herausforderung liegt in der Erweiterung der persönlichen Ja-Kraft.