Gabriele Fischer – Transformation in der Wirtschaft

Am Anfang von Brandeins stand ein deutliches Gefühl: Gabriele Fischer spürte, dass es massive transformatorische Veränderungen geben wird, die zu neuen wirtschaftlichen Bewegungen führen. Der Wandel von einer Industriegesellschaft in eine Wissensgesellschaft hat vielfältige Auswirkungen auf die Wirtschaft. Diese Veränderungen wollte sie mit ihrem Magazin unterstützen, fördern und beschreiben.

1998 bringt Gabriele Fischer, die beim Manager-Magazin arbeitet, dort das Magazin Econy heraus. Nach zwei Ausgaben wird das Magazin wieder eingestellt. Es sei zu ungewöhnlich, um genügend Käufer zu finden. Sie findet für Econy einen anderen Verlag, doch auch der stellt die Produktion wieder ein. 1999 macht sie sich schließlich mit ihrer Redaktion selbständig. Sie pumpt Freunde an, beleiht ihre Wohnung, kündigt die private Altersversorge – und bringt Brandeins heraus.

Die Vision einer sich transformierenden Ökonmomie hat ihrem Team die Kraft verliehen, unbeirrbar an das Magazin zu glauben. Brandeins beginnt erst 2006 schwarze Zahlen zu schreiben. Sie wußte: Wir leben in der aufregendsten Zeit von allen. Jetzt geht es nicht mehr um Wachstum (wie nach dem Krieg). Es geht auch nicht mehr um Reformation (wie in den 70ger und 80ger Jahren). Es geht um Transformation – und das beinhaltet Krisen, denn erst sie ermöglichen einen radikalen Strukturwandel.

Diese Transformation braucht neue Führungsmodelle – eine ethische Haltung des Unternehmens und ein mitmenschlicher Umgang mit Mitarbeitern und Kunden werden notwendig. Ohne Authentizität und persönliche Glaubwürdigkeit ist kein langfristiger Erfolg mehr möglich.

Und – vor allen andern Dingen – braucht es eine Selbstführung, die uns den Umgang mit den ungeliebten Gefühlen erleichtern (Angst, Unsicherheit, Hilflosigkeit…) und damit Veränderungsprozessen in Beziehungen und Partnerschaften ermöglichen.

Ach ja – ich finde auch: Wir leben in einer der aufregendsten Zeiten…
Und ich geniesse es in vollen Zügen.

Gabriele Fischer – Verlegerin und Chefin von Brandeins

Brandeins ist ein Wirtschaftsmagazin, das ich seit Jahren mit viel Begeisterung lese. Ich weiß noch genau, wie ich vor 10 Jahren in einer Bahnhofsbuchhandlung eine der ersten Ausgaben des Magazins in den Händen hielt – und kaufte. Während der anschließenden Zugfahrt habe ich das Magazin verschlungen – Wort für Wort und Artikel für Artikel. Ich war erstaunt und zutiefst inspiriert, dass es in Deutschland möglich ist, so über Wirtschaft zu denken und zu schreiben.

Wer war diese Gabriele Fischer, die es gewagt und geschafft ein Magazin auf den Markt zu bringen, dass so gegen den Mainstream der Wirtschaftsmagazine angedacht war? Irgendwann 2004 wurde sie im Magazin sichtbar. Ihrem Editorial wurde ein Bild an die Seite gestellt. Seit ich das erste Mal ein Foto von ihr sah, hat mich der Wunsch begleitet, Gabriele Fischer einmal persönlich kennenzulernen.

Jetzt haben die Düsseldorfer Unternehmerinnen Gabriele Fischer zu einem After Dinner Talk in den Wirtschaftsclub nach Düsseldorf eingeladen… Und mein Wunsch ging in Erfüllung.

Ich habe selten einen Abend so genossen, wie diesen. Es gab ein kleines feines Essen – und zwischen den einzelnen Gängen ihre Erfahrungen mit Brandeins – verpackt in Geschichten über ein Magazin, über Journalisten, Texter, Leser, Abonnenten und Konkurrenten… Aber auch über ehrliche Gefühle, über die Kraft des Eigensinns und darüber, wie viel Unterstützung wir bekommen, wenn wir uns ganz geben…

Sie ist geistreich, lebendig, herzvoll, leidenschaftlich. Eine Kämpferin – durch jahrelangen Gegenwind präzise geworden und humorvoll. An diesem Abend hat Gabriele Fischer – in einem Zusammenspiel von Fragen und Antworten – Themen angesprochen, die mich so bewegt haben, dass ich mich entschieden haben, in den nächsten Tagen mehr davon zu erzählen.

Vielleicht haben Sie ja Lust auf eine handvoll Geschichten aus einen Abend.

Wer ist eine Führungskraft?

Ich fahre zum Einkaufen. Im Radio läuft WDR 5. Die Erzieher streiken – für bessere Arbeitsbedingungen und die Anerkennung ihrer Arbeit. In einem Interview spricht eine Erzieherin über die Kinder von heute – und die Arbeitssituation von Erzieherinnen. Es ist so spannend, dass ich noch eine Weile im Auto bleibe, um jedes Wort zu hören. Endlich, denke ich, bekommt dieses Thema öffentliche Aufmerksamkeit.

Bei Führungskräften denken wir immer zuerst an Menschen, die in der Wirtschaft  Positionen der Macht und damit gut bezahlten Jobs besetzen. Dagegen habe ich gar nichts… und doch ist etwas daran für mich nicht stimmig.

Der Begriff Führung wird in der Regel für Menschen verwendet, die mit ihrer Arbeit einen finanziellen Umsatz erwirtschaften und verantworten. Er wird bisher so gut wie gar nicht auf Menschen bezogen, die diesen gesellschaftlichen Mehrwert in unsere Zukunft reinvestieren – als Entwicklungsförderung, durch die Vermittlung von emotionalen und sozialen Kompetenzen, durch die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, als Gesundheitsfürsorge…

Das ist fatal, denn es schwächt die, die für unsere emotionale und soziale Nachhaltigkeit verantwortlich sind. Wirtschaftliche Führungskräfte erwirtschaften unser gemeinsames Vermögen. Doch wenn es darum geht, mit diesem Geld unsere Zukunft zu fördern, liegt vieles in den Händen von sozialen Führungskräfte.

Nach dem Interview, sitze ich noch eine Weile nachdenklich im Auto. Wenn sich nur mehr Menschen als Führungskräfte verstehen würden – wir könnten sicherlich viel bewegen. So viel tragen Führungsverantwortung – Tag für Tag, selbstverständlich und einfach…

Integrative Führung bedeutet für mich, dass jeder eine Führungskraft ist, der für die Mitgestaltung unserer Zukunft Verantwortung trägt. Zu ihnen gehören – neben den Führungskräften aus der Wirtschaft – auch Erzieher, Lehrer, Physiotherapeuten und Psychotherapeuten, Heilpraktiker und Mediziner.

Ich spüre, wie wichtig es Birgit-Rita Reifferscheidt und mir ist, neue Führungsimpulse zu setzen, einen  Selbstführungs-Kompass zu initiieren, persönliche Transformationsprozesse zu begleiten… Und Talente zu fördern, die im Schatten herangewachsen sind, aber für unsere Zukunft von nachhaltiger Bedeutung sind.

Wo übernehmen Sie gerade Führung in Ihrem Leben? Und wie geht es Ihnen mit den Erzieherinnen im Kindergarten, den Lehrern, ihrem Therapeuten oder Arzt – als Führungskraft?

Wir möchten gerne Mutmacher-Erfahrungen sammeln…

Die Schätze der DDR

Als Nadine Teichgräber mit 26 Jahren die Leitung einer Kaufhof-Filiale in Köln übernahm, war sie sicherlich eine der jüngsten weibliche Führungskräfte in diesem Unternehmem. Ich habe damals sehr bestaunt, mit wie viel Selbstbewußtsein sie die ersten 100 Tage ihrer Führung gemeistert hat.

Nun habe ich sie einen Tag lang durch ihren beruflichen Alltag begleiten dürfen. Ich war neugierig, wie der Alltag einer Führungskraft in einem Kaufhaus aussieht. Ich wollte hautnah miterleben, wie eine Frau aus der nächste Generation führt und was ihr dabei wichtig ist.

In einem Interview hat mir Nadine Teichgräber anschließend erzählt, wie sehr sie ihre Kindheit in der DDR als Förderung erlebt hat. Ich spüre deutlich, dass sie mit einem anderen Frauenbild groß geworden ist als ich. Junge Frauen aus der DDR treten oft mit einem anderen weiblichem Selbstbewusstsein auf, viele von ihnen riskieren neue Erfahrungen und wagen mutige Entscheidungen.

Gestern habe ich dann in der Taz einen Artikel über die Unterschiede der Frauenbewegung in West- und in Ostdeutschland entdeckt. Mir wird plötzlich klar, wie hoch – auch nach dem Mauerfall – unseren inneren Mauern geblieben sind. Und wie wenig beide Seiten danach fragen, mit welchen Schätzen (an Erfahrungen) wir uns eigentlich verbunden haben. Im Osten gab es Neid auf den Konsum und die Freiheit. Im Westen gab es Abwertung und Überheblichkeit gegenüber der DDR.

Irgendwie ist die Wiedervereinigung vor allem zu Lasten der DDR verlaufen – und damit auf Kosten unserer gemeinsamen Gesellschaft. Es gibt so viele Lebensbereiche, in denen die DDR vorgegangen ist: In der Kombination von Berufstätigkeit und Mutterschaft, in der Integration der Jugend oder in der sportlichen Förderung .

Die Verarbeitung des 2. Weltkrieges hat bei uns erst nach 60 Jahren angefangen. Vielleicht können wir die Schätze der DDR schon nach 20 Jahren anfangen zu suchen…

Welche Schätze aus Ost und West haben Sie inzwischen gesammelt?

Krisen als Chancen zur Transformation

Mit Krisen scheint es uns so ähnlich zu gehen, wie mit traumatischen Erfahrungen. Noch vor einigen Jahren konnte man dieses Wort nicht benutzen, ohne mit psychischen Exzentrikern in einer Schublade zu landen. Inzwischen ist Trauma zu einem wertvollen Wort geworden. Es hilft uns zu verstehen, wie es Kindern geht, die im Krieg aufgewachsen sind… Wie es Menschen nach dem Tsunamie erging… Wie Eltern und Lehrer mit einem Amoklauf leben… Und wie Soldaten nach einem Kriegseinsatz weiterleben…

Inzwischen ist auch die Krise gesellschaftsfähig geworden. Und fast jeder kann sie mit persönlichen Erfahrung aus seinem eigenen Leben verbinden. Wir erleben mehr und mehr, dass Krisen uns die Möglichkeit schenken, neue Chancen zu entdecken – oder aber im Selbstmitleid zu verschwinden.

In Wachstumsphasen geht es um Ausdehnung innerhalb eines Entwicklungs-Fensters (das Wirtschaftswunder nach dem 2. Weltkrieg oder die Internetblase am Ende des letzten Jahrhunderts). In den Zeiten der Reformation kommt es dann zu notwendigen Korrekturen innerhalb dieses Prozesses. Erst wenn auf dieser Ebene alle Chancen ausgereizt sind, wird ein transformatorischer Sprung notwendig – und möglich.

Transformation ist immer mit der Verankerung neuer Werten verbunden. Damit wir sie entdecken können, braucht es im Übergang krisenhafte Erfahrungen. Durch sie lösen sich bestehenden Strukturen auf und wir hängen einfach für eine Weile in der Luft – und damit mitten in unseren Gefühlen. Im Übergang ist unsere Zukunft ungewiss – sowohl emotional wie auch existenziell.

In Krisenzeiten ist es am Besten, in das zu investieren, was bleibt – Bildung und Bindung. Eckhart von Hirschhausen hat das in der Talkshow von Johannes B. Kerner deutlich ausgedrückt. In Zeiten der Transformation trägt uns, was uns im Grunde prägt – und verändert.

Ich erlebe gerade selber, wie wichtig mir Beziehungen sind, die über viele Jahre  gewachsen sind. In ihnen finde ich Kontinuität und ein solides Fundament – mitten im Taumel der Veränderung. Nichts schenkt mir so viel Sicherheit, wie die Entwicklung meiner Persönlichkeit – und die Bindung zu den Menschen, bei denen ich mich beheimatet fühle.